Super Bowl: Blitz und Bumerang
Am Sonntag spielen die New Orleans Saints gegen die Indianapolis Colts um den Titel in der NFL. Beide Teams wissen vor allem mit ihrer Offensive zu beeindrucken.
Als der Sport noch von knorrigen Männern beherrscht wurde, nicht von Technokraten mit BWL-Abschluss und Business-Anzug, in jenen goldenen Zeiten war der Ball noch rund und ein Spiel noch neunzig Minuten lang. Gut, im Football gilt weder das eine noch das andere, ist das Spielgerät doch geformt wie ein Ei und dauert eine Auseinandersetzung darum sechzig Minuten reine Spielzeit. Aber auch in Amerika werden gern zeitlose Preziosen zitiert und die beliebteste Weisheit aus den Zeiten mit den knorrigen Männern ist zweifellos: "Offense wins games, but defense wins championships."
Im Gegensatz zu den Herbergerschen Unverbrüchlichkeiten hat der Lehrsatz von der Offensive, mit der man Spiele gewinnt, während die Verteidigung die Meisterschaften einfährt, keinen überlieferten Autor. Ansonsten hat er ein ähnliches Schicksal erlitten wie die Sätze vom legendären Sepp: Ganz falsch sind sie immer noch nicht. Aber auch nicht mehr ganz richtig.
So ist der Ball zwar immer noch rund, aber ein Fußballspiel hat heutzutage eine zünftige Nachspielzeit. Und vor der Super Bowl mit der römischen Nummer XLIV steht bereits eines fest: Auch der Ausgang des diesjährigen Endspiels der National Football League wird entscheidend von den Verteidigungsreihen abhängen. Wenn auch nicht ganz so, wie sich das der unbekannte Schöpfer des ewigen Mantras gedacht haben dürfte: In Miami wird am Sonntag (0.23 Uhr, ARD) jene Mannschaft das Feld als Sieger verlassen, die in der Lage ist, zumindest hin und wieder die Angreifer des Gegners ein wenig in die Schranken zu weisen.
Denn weder die Indianapolis Colts noch die New Orleans Saints sind für sonderlich sattelfeste Defensivreihen bekannt. Eher im Gegenteil: Die Stars beider Teams sind mit der Offensive betraut. Allen voran die Quarterbacks: Peyton Manning wird in hitzigen Thekendiskussionen längst zusammen mit den Legenden Joe Montana und Dan Marino genannt. Sollte der 33-Jährige die Colts zu einem zweiten Titel nach 2006 führen, wäre das ein weiteres Argument für seine Kandidatur als bester NFL-Spielmacher aller Zeiten.
Mannings Gegenüber Drew Brees hat in den vergangenen Jahren auf einem vergleichbaren Niveau agiert. Und vor allem großen Anteil daran, dass die traditionell erbärmlichen Saints zum ernst zu nehmenden Titelkandidaten mutierten. Bereits mit der ersten Super-Bowl-Teilnahme in der Klubgeschichte sind Brees und seine Kollegen im immer noch von den Nachwirkungen der "Katrina"-Katastrophe gebeutelten New Orleans zu Volkshelden aufgestiegen.
Diesen beiden Könnern stehen jeweils gleich mehrere schnelle und fangsichere Passempfänger zur Seite, an die sie die Bälle verteilen können. Das vergleichsweise dröge, aber sicherere Laufspiel dagegen spielt bei beiden Mannschaften eine eher untergeordnete Rolle. Ganz Amerika freut sich deshalb schon auf eine spektakuläre Offensiv-Show. Womöglich ja sogar auf eine Fortsetzung der ersten Playoff-Runde von Anfang Januar. Damals gewannen die Arizona Cardinals 51:45 gegen die Green Bay Packers. Die jeweiligen Abwehrreihen schienen bisweilen gar nicht auf dem Feld zu stehen. Mit der Folge: So viele Punkte waren in einem Playoff-Spiel noch niemals gezählt worden. Dass dieser Rekord in der morgigen Super Bowl gleich wieder verbessert wird, ist zumindest im Bereich des Möglichen.
Weswegen die zwei Wochen vor der Super Bowl, in der die Medienmaschinerie in den USA zu bisweilen bizarren Auswüchsen aufläuft, zu einem guten Teil genutzt wurden, eine Botschaft unters Fanvolk zu bringen: Dermaßen inkompetent sind die Defensivkünstler der Endspielkontrahenten dann doch nicht. Dagegen sprechen zwar die reinen Zahlen, bei denen weder die Colts-Abwehr noch die der Saints sonderlich gut abschneiden. Aber das liegt zum großen Teil daran, dass beide Mannschaften oft und gerne einen riskanten Spielzug verwenden, der in der Football-Fachsprache mit dem deutschen Wörtchen "Blitz" bezeichnet wird. Dabei werden die hinteren Abwehrreihen weitgehend entblößt, um vorne den gegnerischen Quarterback mit zusätzlichen Verteidigern unter Druck setzen zu können. "Wir versuchen an den Quarterback ranzukommen, sein Timing durcheinanderzubringen", erklärt Saints-Verteidiger Darren Sharper diese Alles-oder-nichts-Taktik, die dem Forechecking im Fußball vergleichbar ist - und wie diese Art der Vorneverteidigung große Risiken birgt: Denn wenn der Quarterback den Ball trotzdem schnell genug werfen kann, wird der Blitz zum Bumerang. Keine gute Nachricht ist deshalb für die beiden Defensivverbände, dass ausgerechnet Brees und Manning als Anti-Blitz-Experten gelten. Niemand sonst in der NFL liest die Absichten der gegnerischen Abwehr so gut und wirft so schnell.
Einer der wenigen, die das drohende Pass-Spektakel zumindest eindämmen könnten, ist Dwight Freeney. Doch ausgerechnet der Einsatz des besten Colts-Verteidigers ist zweifelhaft. Freeney ist der wichtigste Mann im Blitz-Schema der Colts, aber laboriert an einem Bänderriss im Sprunggelenk. Den behandelt der 29-Jährige, eruierten die in Miami versammelten Journalistenmassen, mit ausgiebigen und barfüßigen Spaziergängen im Strandsand von Florida. Den Heilungsfortgang kommentierte Freeney mit Sätzen von nahezu Herbergerscher Grandezza: "Es wird von Tag zu Tag besser. Der Knöchel sieht immer mehr aus wie ein Knöchel." Ob er gegen die Saints auflaufen wird können, ließ er offen. Aber ob mit oder ohne Freeney, etwas gilt auf jeden Fall morgen in Miami: Wichtig is immer noch aufm Platz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!