Suhrkamp-Umzug I: Willkommen im Labor
Der renomierte Verlag bezieht seinen neuen Hauptsitz, ein altes Finanzamt in Prenzlauer Berg. Man sei voll arbeitsfähig, verkündet die Sprecherin. Nur Kaffee trinken und E-Mails schreiben funktioniert noch nicht.
Es ist Suhrkamps erster Tag in Berlin und das Namensschild des Verlags baumelt im Wind. An den gewundenen Eisenstreben vor dem Erdgeschossfenster der Pappelallee 78 ist mit Kabelbinder eine Klarsichtfolie befestigt. Auf dem Din-A4-Zettel darin steht: "Suhrkamp Verlag". Vier Meter weiter, auf der anderen Seite der Toreinfahrt, halten zwei Streifen breites Klebeband dasselbe Blatt Papier auf der Steinwand. Daneben hängt ein Zettel mit der Aufschrift: "Hier ist kein Finanzamt."
Seit Montag und voraussichtlich für mindestens zwei Jahre ist das ehemalige Finanzamt in Prenzlauer Berg, ein Gründerzeithaus von 1915, der Hauptsitz des Suhrkamp Verlages. Das Labor sei heute eben in Berlin, sagte die Verlegerin Ulla Unseld-Berkewicz, als sie die Entscheidung zum Wegzug aus Frankfurt zu Beginn des vergangenen Jahres bekannt gab. Hier, zwischen indischem Restaurant und Abrisshaus, Kneipe im ersten Stock und Designerklamottenladen soll nur das Zwischenlabor sein. 2012 will der Verlag ins historische Nicolaihaus in Mitte weiterziehen. Spätestens dann gibts wohl ein richtiges Türschild.
Knapp zwei Drittel der 160 Mitarbeiter seien mit nach Berlin gekommen, sagt der Verlag. Von dem halben Dutzend Autos im Innenhof hat nur eins ein Frankfurter Kennzeichen. Daneben hieven zwei Männer Schreibtische, Bürostühle und Regale auf einen offenen Anhänger. Auf einem Rollcontainer steht mit schwarzem Edding: "Schrott". Die Umzugswagen sind schon lange wieder gefahren, der letzte Container kam zwischen den Jahren.
Die Türen des Hauses sind offen, die Flure leer, auf dem Linoleumboden steht ein gerahmtes Bild von Uwe Johnsson, ein wichtiger Autor des Verlags. Eine Rede der Verlegerin an die Belegschaft werde es vermutlich erst am Dienstag geben, sagt Suhrkamp-Sprecherin Tanja Postpischil. Einer Nachrichtenagentur hat sie gerade gesagt, man sei schon voll arbeitsfähig. Allerdings funktioniere ihre E-Mail-Adresse noch nicht. "Aber eigentlich hat alles gut geklappt", sagt sie.
Die Verlagsmitarbeiterin, die im vierten Stock in den Aufzug steigt, sieht das anders. Sie soll dort Kaffee servieren, und das geht nicht ohne Tassen. "Ich weiß, wo sie sind", sagt die Mitfünfzigerin mit dem braunen Bobschnitt und der großen Brille. "Im Keller." Aber niemand könne ihr sagen, wo sie einen Aufzugschlüssel bekomme, mit dem sie dorthin komme. Sie seufzt. "Das K ist in Frankfurt geblieben". K für Keller? "K für Kommunikation." Das gilt nicht nur für verlagsinterne Gespräche: Die Suhrkamp-Mitarbeiter in einem Empfangsraum, die auf den Kaffee warten, wollen zu dem ganzen Umzugsstress nicht viel sagen. Das sei heute kein guter Tag für Fragen, so die Antwort.
Die Frankfurter Belegschaft und der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schneider hatten sich lange über den Umzug beschwert, besonders darüber, dass die Chefin seit der Entscheidungsverkündung nicht mehr mit den Mitarbeitern gesprochen habe. Zur selbst organisierten Belegschaftsweihnachtsfeier war die Verlagsleitung dann nicht eingeladen.
Die Mitarbeiterin mit dem Kaffeetassenproblem redet noch weiter, hält die Hände vors Gesicht, rauft sich die Haare. Dann stoppt der Aufzug im Erdgeschoss und sie sagt: "Aber es wird schon alles gut." Sie will jetzt zur Drogerie gehen, Becher kaufen. Um etwas Laborathmosphäre zu schaffen.
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