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■ Zuschlagen im Schutz des AlkoholsSuff als Freibrief

Wer sich betrunken hinters Steuer setzt, macht sich strafbar. Das ist festgeschrieben. Niemand käme nach einem Unfall mit Verletzten oder Toten auf den Gedanken, über eine verminderte Schuldfähigkeit nachzusinnen, weil der Fahrer besoffen war. Körperverletzungen, insbesondere ausländerfeindliche Angriffe, die nicht mit der Waffe Auto, sondern mit Fäusten und Springerstiefeln verübt werden, scheinen sich dagegen in einer anderen Sphäre abzuspielen. Anders sind zahlreiche milde Urteile gegen Neonazis und rechtsradikale Skins nicht zu verstehen. Vor zwei Wochen wurde drei Männern verminderte Schuldfähigkeit zugesprochen. Sie hatten betrunken in der S-Bahn aus „Lust am Prügeln“ einen Japaner zusammengetreten und einen anderen Fahrgast verprügelt, weil der keine Nazi-Parolen brüllen mochte. Ist bereits der Strafrahmen für Körperverletzung im Gegensatz zu Eigentumsdelikten unangemessen niedrig – was von den oft monatelang unter den Verletzungsfolgen leidenden Menschen als skandalös empfunden wird –, so wird der Alkoholismus zusätzlich zur Begründung für milde Strafen.

Profitiert von dieser unverständlichen Generosität hat auch der zehnmal vorbestrafte Skin, der gestern mit einem Jahr Haft billig bedient wurde. Was der Staatsanwalt als „Lapsus“ rügte – eine höhere Strafe konnte nicht ausgesprochen werden, weil die Justiz vergaß, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen –, belegt vielmehr die laxe Haltung der Strafverfolgungsbehörden. Weil der Skin zur Tatzeit betrunken war, hatte man offenbar von vornherein nicht mit einer härteren Strafe gerechnet. Die Opfer könnten darin eine augenzwinkernde Komplizenschaft sehen. Möglichkeiten, solche Delikte unnachgiebig hart zu ahnden, gibt es durchaus. Gegenwärtig aber darf Volltrunkenheit fast als Freibrief für Brutalos verstanden werden. Gerd Nowakowski

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