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Sünde. Fall. Beil.

■ Premiere der „Königlichen Oper in fünf Akten“ am Sonntag im Goethetheater / Opernparodie ohne kaltes Entsetzen

Wenn der Rezensent nach schweißtreibendem Wochenende und fehlgeschlagener Erquickung in öffentlichen Freibädern abends der Oper zustrebt, will er Kühlung. Vertrauen auf die Klima-Anlage des Hauses am Goetheplatz trägt er im Herzen, doch war am Sonntag abend nicht allzuviel wärmeabstrahlndes Publikum zu erwarten.

Das Goethetheater präsentierte „Sünde. Fall. Beil.“ von Gerhard Stäbler, Libretto von Andreas F. J. Lechner, uraufgeführt vor einer Woche als Bremer Beitrag zur Münchener Biennale, die sich dem neuen Musiktheater widmet.

Wohliges Grausen, mit den im Sommer so angenehmen Kribbelschauern, die einem über den Rücken jagen, verheißt das Libretto der „Königlichen Oper in 5 Akten“ frei nach Alexandre Dumas dem Älteren, der das Publikum in der Zeit des Bürger-Königtums zum beiderseitigen Vorteil mit aufklärischen Historien- Schinken fütterte. Eigentlich ein Stoff, geeignet für einen schwül- öden TV-Mehrteiler in öffentlich-rechtlicher Ko-Produktion im EG-Verbund. In musiktheatralischer Verdichtung war allerdings Cooles zu erwarten.

Cool war es durchaus im angemessen besetzten Rund des Hauses. Offen der Vorhang, die Bühne begrenzt mit schwarz-kahlem Gemäuer, hinten ein schmaler Durchgang — für Auftritte und, wie sich später zeigte, für endgültige Abtritte bestens geeignet. Vorne die schäge, kreisrunde Scheibe, die seit Wieland Wagner die Welt bedeutet. Darunter quellen — hübsch arrangiert — ein paar Leichen aus dem Theaterfundus hervor. Auf der Scheibe jede Menge sinnvoll zusammenbaubarer Stühle im fahl-silbrigen Licht: naß-kühl, Kerkerstimmung. Dahinter das Orchester: ansprechend aufgebaut, in warmes Licht gebettet. Im Zentrum die matt-gold glänzende Harfe, daneben Quetschkommode, Windmaschine, allerlei bekanntes und unbekanntes Schlagwerk. Ein paar Geigen, Holzbläser und Blech. Besonders schwer und wunderbar strahlend die Tuba. Schön-kühl: ein dickes Lob dem Ausstatter Florian Parbs.

Auf der Scheibe rollt die Story ab vom liebeshungrigen allmächtigen König, der ein Auge auf die Geliebte seines Haus- und Hofmeisters geworfen hat, was diesen zu gewagten Intrigen, Tricks und Mordanschlägen verleitet; allerdings letztlich vergeblich: Der König und sein Machtapparat bewältigen die Situation mit den klassischen Mitteln: Kopf ab, Feierabend.

Tobias Richter hat mit einem ausgesprochen spiel- und sangesfreudigen Ensemble und unterstützt von Joachim Siska eine glänzend choreografierte Horro- Klamotte auf die Scheibe gelegt. Ein majestätisch aufgeblasener, zu extrem miesepetrigem Ausdruck fähiger König (Antony Ransome), ein spindeliger, zu nervösem Aktionismus neigender Haus- und Hofmeister (Oskar Pürgstaller), ein hohlköpfiges, aber gefährliches Hofpersonal (aufregend bizarr, Karsten Küsters), eine blühende Schönheit, die in entscheidenden Augenblicken denn doch nicht weiß, wo es längs geht (mit bittersüßen Kolloraturen in schwindelnder Höhe, Jeanine Thames), werden vom „Königlichen Zwerg“ (beeindruckend: Monika Maria Ullemeyer) in immer groteskere Situationen gehetzt; bis zum bitteren Ende, das ein auf Futter wartendes Krokodil bänkelsingend vorhersagt.

Stäblers Musik, im Programmheft von ihm näher erläutert, begleitet das grauslige Geschehen mit durchaus faßlicher Musik, funktional aufs Geschehen abgestellt. Das Schlagzeug formuliert im Morsealphabet (eine Hobby- Funker-Ausbildung erleichtert das tiefere Eindringen in die musikalischen Zusammenhänge) seinen Kommentar zum Bild, das Blech orientiert sich zuweilen am Weill-Sound der 20er Jahre, wenn es sich nicht zu grellen Katastrophenklängen formiert, Geigen, Hafe und Windmaschine erzeugen flirrende Klangteppiche; und Klang-Bretter, freigiebig an die Protagonisten verteilt, sorgen zuweilen für schlagartiges Erschrecken (grundsolide das Philharmonische Staatsorchester Bremen unter der Leitung von Kenneth Duryea). — Im Hintergrund muß noch ein Preßlufthemmer solistisch tätig sein.

Gut unterhalten und angenehm erfrischt verläßt der Rezensent das Opernhaus, etwas irritiert allerdings von dem unbeholfen erscheinenden Bemühen des dem engagierten Beifall des Publikums entgegengetretenen Ensembles, nicht auf der riesigen Blutlache auszurutschen, die folgereichtig im Schlußbild die Scheibe überschwemmt hat. Blut hat, dem Opernfreund ist das bekannt, einen süßen Geruch, aber einen bitteren Geschmack. Läßt man den Abend Revue passieren — das Programmheft hilft mit dem vollständig abgedruckten Libretto und Beiträgen der Autoren dabei — wird deutlich, daß brillante Unterhaltung allenfalls das Mittel, aber nicht das Ziel der Königlichen Oper war. Der gewollte Umschlag vom konsumierbaren Grausen ins kalte Entsetzen blieb aus. Nur im vierten Akt demonstrierte Karsten Küsters, als bösartiger Richter virtuos mit Trillerpfeife und zwei Hämmern hantierend, vom Volke, in dessen Nmen er spricht, mit blutgirigem Geplapper unterstützt, die terroristische Tiefenschicht des Stoffes. Daß diese weitgehend verdeckt blieb, lag, so denke ich mir, nicht nur an Tobias Richters inszenatorischen Künsten. Vor der Pause hatte man sich zu sehr an Stäblers Musik gewöhnt, sie als mit schwarzem Humor gewürzte Opernparodie schätzengelernt, als daß das bittere Ende musikalisch noch wahrnehmbar war. Schock und Aggressivität hatten sich im komödiantischen Gewusel verbraucht. Gleichwohl an heißen Abenden, nicht nur wegen der Klimanalage, sehr zu empfehlen. Mario Nitsche

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