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Archiv-Artikel

Südsee statt Sibirien

Das ZDF verschickt zwei deutsche Familien dahin, wo angeblich das Glück wohnt: „Traumfischer“ (20.15 Uhr)

Man kennt das, wenn nicht aus eigenem Empfinden, so zumindest aus dem Kino: Das Glück wohnt immer woanders.

Landbewohner suchen in den Städten ein erfülltes Leben, für Städter verläuft die Richtung umgekehrt. Die Idee, solche Wunschvorstellungen zumindest temporär zu verwirklichen und die damit verbundenen Hoffnungen mit der Realität abzugleichen, ist äußerst reizvoll und war schon 1997 Grundlage der frühen Reality Show „Expedition Robinson“.

Eine dezentere Variante bot das ZDF Anfang dieses Jahres mit der Dokumentarreihe „Sternflüstern“, wo zwei Familien vier Monate unter ortstypischen Bedingungen in Sibirien am Baikalsee lebten. Eine im Gegensatz zur vorzeitig abgebrochenen Vox-Variante „Urlaub, wo der Pfeffer wächst“ quotenträchtige Unternehmung, die prompt am 28. 12. eine Fortsetzung finden wird.

Nach gleichem Muster funktioniert „Traumfischer“. Für die vierteilige Reihe haben Martin Buchholz und Ralf Dilger ein klassisches Aussteigermotiv aufgegriffen: den Traum von der einsamen Insel. Es handelt sich um ein schmales Eiland des Südsee-Königreichs Tonga, wo smaragdfarbenes Meer und üppige Palmwälder auf die Teilzeitinsulaner warten – und als Behausung eine spartanische Wellblechhütte ohne fließendes Wasser, Elektrizität und feste Herdstelle. Schon die umständliche Anreise bei klischeewidrig schlechtem Wetter weckt Ahnungen, dass die Südsee nicht nur Sonnentage bereithält.

Die ausgewählten Familien sind alles andere als Survival-Spezialisten; sie scheinen sich kaum auf den Aufenthalt in der Fremde vorbereitet zu haben. Peinlich anzusehen, wie sie sich in schlechtem Englisch in ihrer neuen Umgebung zu verständigen versuchen. Meist aber hat der Erzähler das Wort. Dergleichen obliegt beim ZDF stets Joachim Kerzel, der mit markigem Timbre die nötige Emotionalisierung besorgt.

Denn auch wenn die Reihe dem dokumentarischen Genre zugerechnet wird, geht es darum, das Publikum zu bannen, ihm kleine Fluchten zu ermöglichen, eine Kompensation für die eigene Abenteuerlust zu liefern, kurz: um unterhaltendes Fernsehen. Das meist am erfreulichsten ausfällt, wenn es, wie hier, Rückschlüsse aufs eigene Leben erlaubt. HARALD KELLER