: Südkorea: Suche nach Entspannung
■ Nach erneuten Straßenschlachten versucht Präsident Roh die Lage zu entschärfen/ Vier von 22 Ministern werden ausgetauscht/ Studentin am Sonntag bei Demonstration zu Tode getrampelt
Seoul (ap/dpa) — Nach erneuten landesweiten Demonstrationen und Straßenschlachten hat der südkoreanische Staatschef Roh Tae Woo am Sonntag die Regierung umgebildet.
Bereits am Freitag hatte er den ehemaligen Erziehungsminister Chung Won Shik zum neuen Regierungschef berufen. Wie ein Sprecher des Präsidenten in Seoul bekanntgab, müssen vier von insgesamt zweiundzwanzig Ministern ihre Posten räumen. Die Ministerien für Justiz, Finanzen, Gesundheitswesen und Energie erhielten neue Ressortchefs. Zuvor hatte Roh nach einem weiteren Wochenende regierungsfeindlicher Kundgebungen mit seinem neuen Ministerpräsidenten Chung Won Shik darüber beraten, wie die Lage in Südkorea entschärft werden könnte. Chung jedoch gilt in Kreisen der Opposition als Verfechter harter Maßnahmen gegen Systemgegner, so daß seine Ernennung den Protest gegen Roh eher noch angefacht hat. In der Hauptstadt Seoul wurde am Samstag eine Studentin bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten zu Tode getrampelt. Nach Angaben des koreanischen Fernsehens geriet die 25jährige Frau auf der Flucht vor dem Tränengas der Polizei ins Stolpern und wurde laut Augenzeugen von mindestens 25 anderen flüchtenden Demonstranten überrannt. Eine zweite Studentin liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Sie soll, wie Augenzeugen berichteten, von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen worden sein. In der südkoreanischen Hauptstadt hatten wieder Zehntausende den Rücktritt Rohs und den seiner gesamten Regierung gefordert und gegen die Ernennung Chungs protestiert.
In Kwangju, wo es in den vergangenen vier Wochen fast täglich Demonstrationen gegen Roh und seine Regierung gegeben hatte, versammelten sich 60.000 Menschen zu einer Trauerfeier für eine Studentin, die sich selbst in Brand gesetzt hatte und am Sonntag vergangener Woche ihren Verletzungen erlegen war.
Erstmals gingen auch Buddhisten in Seoul zu Protesten gegen die Regierung auf die Straße und forderten den Rücktritt des Präsidenten Roh Tae Woo und die Auflösung der Regierungspartei.
Zum Justizminister ernannte der Präsident Kim Ki Choon, der von 1988 bis 1990 Generalstaatsanwalt war. In Seoul hieß es, Kim habe sich damals den Ruf erworben, kompromißlos hart vorzugehen. Es hieß auch, die Ernennung Kims werde nach der Chungs für weiteren Zündstoff in Südkorea sorgen. Rohs Sprecher Lee Soo Jung sagte bei der Bekanntgabe der Kabinettsumbildung, der Präsident habe dem Kabinett ausdrücklich die Aufgabe gestellt, Recht und Ordnung gegen die Feinde der politischen Ordnung in Südkorea zu verteidigen.
Aus einer am Samstag veröffentlichten Umfrage des Gallup-Instituts und der Zeitung 'Chosun Ilbo‘ geht hervor, daß nur 35,2 Prozent der Südkoreaner mit der Berufung Chungs einverstanden sind. Das hieße, daß Roh sein Ziel, mit dem Wechsel an der Regierungsspitze neues Vertrauen zu gewinnen, zunächst nicht erreicht hätte.
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