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Archiv-Artikel

Südafrika blockiert Aidsbehandlung

Medizinischer Kontrollrat in Südafrika will das Aidsmittel Nevirapin, das Ungeborene vor der HIV-Übertragung durch infizierte Mütter schützt, vom Markt nehmen. Das Medikament ist seit Jahren zwischen Regierung und Aidsaktivisten umstritten

aus Johannesburg MARTINA SCHWIKOWSKI

Der Streit um Anti-Aids-Medikamente ist in Südafrika erneut aufgeflammt – nur einen Tag vor der ersten nationalen Aidskonferenz, die am Wochenende in Durban beginnt. Dem bekanntesten Aidsmedikament Nevirapin, das die Übertragung des HI-Virus von infizierten Schwangeren auf Ungeborene verhindert, droht im Land mit den meisten Aidsinfektionen der Welt die Entziehung der Marktzulassung, nachdem der medizinische Kontrollrat des Landes Zweifel an seiner Sicherheit geäußert hat.

Eine Einzeldosis Nevirapin vor Beginn der Wehen und eine weitere Dosis 72 Stunden nach der Geburt verringert die Wahrscheinlichkeit der Übertragung des tödlichen Virus von Mutter auf Kind um etwa die Hälfte. Der Kontrollrat sagt nun aber, dass Nevirapin nicht alle Kritierien für die Zulassung erfülle. Eine klinische Studie in Uganda habe den südafrikanischen Kriterien nicht standgehalten. Südafrikas Aidsaktivisten halten dagegen, dass eigene südafrikanische Untersuchungen sowie Analysen aus Sambia, Kamerun und der Elfenbeinküste gute Ergebnisse in der Behandlung mit Nevirapin ergeben haben. 50.000 Babies pro Jahr könnten in Südafrika gerettet werden, wenn Nevirapin überall verabreicht würde, sagt James McIntyre, Arzt bei der Aidsforschungseinheit im Baragwanath-Krankenhaus in Soweto, der dem Kontrollrat im Juni selbst eine Studie zu Nevirapin mit guten Ergebnissen vorlegte.

Die Weigerung der Regierung Südafrikas, Nevirapin an Schwangere abzugeben, ist seit Jahren ein Streitpunkt mit Aidsaktivisten des Landes. Ein Gerichtsurteil von 2002 aufgrund einer Klage des „Treatment Action Campaign“ (TAC) zwang die Regierung, mit der Verabreichung von Nevirapin in öffentlichen Krankenhäusern zu beginnen. Aber lediglich in der Kap-Provinz wird Nevirapin in jedem staatlichen Krankenhaus zur Verfügung gestellt, in Kombination von Nevirapin und weiteren Anti-Aids-Medikamenten.

Über den Versuch, Nevirapin wieder vom Markt zu nehmen, sind die Aidsaktivisten nun entsetzt. „Die Regierung will die Aufmerksamkeit jetzt ablenken, da der nationale Plan zur Vorbeugung und Behandlung von HIV-Aids erneut verzögert worden ist“, sagt Siphokazi Mthathi, TAC-Beraterin in Aufklärungs- und Behandlungsfragen. Die Aktivisten hatten mit der Unterstützung von Wirtschaft, dem Arbeitssektor und gesellschaftlichen Organisationen einen umfassenden Aids-Rahmenplan der Regierung gefordert, um Vorbeugung, mehr Tests, Beratungen für Infizierte und auch die Zulassung von Anti-Aids-Medikamenten zu organisieren.

Die Regierung verzögert die Entscheidung über einen solchen Plan immer wieder; das führte kürzlich sogar zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams seitens der Aidsaktivisten. Als Vizepräsident Jacob Zuma eine Behandlung des Themas im Kabinett im vergangenen Monat zusagte, stoppten sie ihre Kampagne zunächst. Aber tatsächlich ist nichts passiert. „Die Regierung zeigt sich nicht verpflichtet – sie ist immer noch im Ablehnungszustand“, sagt Mthathi.

In Durban will TAC nun die weitere Strategie überlegen. Auf ein zweitägiges TAC-Treffen, das gestern begann, folgt von Sonntag bis Mittwoch eine regierungsfinanzierte Konferenz, auf der lokale und internationale Wissenschaftler Forschungsergebnisse und Umsetzungsmöglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung von HIV-Aids zu diskutieren. TAC forderte die Leiter dieser Konferenz auf, einen Beschluss zur Verabschiedung eines nationalen Aidsprogramms zu fassen. „Wir brauchen keine weiteren Konferenzen, wir brauchen eine klare politische Botschaft im Interesse aller Betroffenen“, sagt Mthathi.

Ein Bericht der Regierung hat bestätigt, was Aktivisten längst fordern. Finanz- und Gesundheitsministerium haben in einem bis letzte Woche unter Verschluss gehaltenen Bericht zugegeben, dass in Südafrika bis zum Jahr 2010 1,7 Millionen Leben gerettet werden könnten, wenn Aidsmedikamente zum Einsatz kämen. TAC hat den Bericht zum Ärger der Verantwortlichen an die Öffentlichkeit gebracht. „Darin wird auch klar, dass bereits drei Milliarden Rand für den Beginn der Behandlungen mit Anti-Aids-Medikamenten bereit stehen“, sagt Mthathi: Die Infrastruktur sei geprüft, Ausrüstungen und bessere Trainingsmöglichkeiten für Personal seien untersucht und eine phasenorientierte Umsetzung eines Behandlungsplanes mit späterer Nutzung von billigeren Nachahmerprodukten werde für möglich gehalten.