piwik no script img

Archiv-Artikel

Suchbewegung im Revier

melez 06, das Vorzeige-Festival mit türkischem Schwerpunkt, mischt in diesem Jahr gleich drei Migrationskulturen. Dafür fand zuerst eine künstlerische Spurensuche in der Ruhr-Region statt

VON PETER ORTMANN

Ein babylonisches Stimmengewirr durchzieht das Ruhrgebiet. Hier leben 140 Nationen, die in 90 Sprachen kommunizieren. Und die Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund steigt weiter. Ihre besondere Kultur leben sie in eigenen Communities, meist abseits eingefahrener Institutionen. Das kann sich die kommende Kulturhauptstadt nicht länger leisten. Sie überschreitet mit melez (Mischling), dem Festival der Künste, nächste Woche zum zweiten Mal in der Bochumer Jahrhunderthalle imaginäre Grenzen und präsentiert multikulturelle Kultur und damit Künstler, die in den jeweiligen Communities gefeiert, der Restbevölkerung aber weitgehend unbekannt sind. In diesem Jahr schaut das Revier nach Polen, nach Italien und als Schwerpunkt auch zum zweiten Mal bereits in die Türkei.

Genau vor einem Jahr war das Land am Bosporus, aus dem die meisten Einwanderer im Ruhrgebiet kommen, bereits ein kulturelles Thema. Sie konnten in über 30 Veranstaltungen zeigen, das türkische Kultur mehr ist als Döner und Bauchtanz. Das international renommierte Modern Dance Turkey aus Ankara zeigte als Deutschlandpremiere ihr Tanztheaterstück „Control“, das die Besucher so begeisterte, das man die Truppe auch in diesem Jahr wieder einlud und eine Auftragsarbeit an sie vergab. Die Kölner Choreographin Suna Göncü erarbeitete für melez 06 das Stück „Colours of the Parachute“.

„Una notte italiana“. Edoardo Bennato, einer der berühmtesten Liedermacher Italiens, kommt aus Neapel in die Jahrhunderthalle. Obwohl der bereits eine 30-jährige Karriere hinter sich hat und mit B.B. King und Jeff Healey auf der Bühne stand, hat sich melez-Musik-Koordinatorin Claudia Saerbeck extra in ihrer Lieblings-Pizzeria rückversichert. Dort kannte den kleinen Italiener aber jeder.

Die junge Regisseurin Maja Kleczewska gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten des aktuellen polnischen Theaters. „Sie inszeniert mit eiserner Faust, ohne einen Schatten von Sentimentalität, sie ist streng, männlich und extrem brutal im Beschreiben der kranken Welt“, schreibt die Theaterkritik dort. Bei melez zeigt sie ihre preisgekrönte „Woyzeck“-Inszenierung.

Drei Veranstaltungen sind gleich ein Festival? Diese Rechnung geht eigentlich nicht auf. Auch nicht im Festival-geplagten Ruhrgebiet. „Das ist auch ein wenig verwirrend“, sagt Essens Kulturdezernent Oliver Scheytt. Melez ist nämlich ein Projekt der Kulturhauptstadt Ruhr 2010, deren Bewerbung Scheytt geleitet und in der nun eine Spurensuche nach der kulturellen Identität stattgefunden hat. Das türkische Kulturfest sei für die Brüsseler Jury im letzten Jahr der Beweis gewesen, dass im Ruhrgebiet 54 Städte zusammenarbeiten können, so Scheytt. In diesem Jahr hätte die Suchbewegung nach den Kulturen im Vordergrund gestanden, nicht die üblichen Lesungen, Performances und Diskussionsforen. Das Festival habe eher biennalen Charakter. „Auch die Mittel waren in diesem Jahr knapper“ sagt melez-Chef Holger Bergmann vom Ringlokschuppen in Mülheim. 150.000 Euro standen zur Verfügung.

Und so konnte man nur Radek Knapp aus Polen, Gian Maria Cervo aus Italien und Tanil Bora aus der Türkei durch die Region auf Reisen schicken. Ihre Berichte werden in einem Symposium vorgestellt, in das der türkische Schriftsteller Feridun Zaimoglu einführt und mit dem das Kulturfest auch beendet wird.

melez 0627. bis 29. OktoberJahrhunderthalle BochumInfos: 0208-993160