: Succows Programm
Vor fünfzehn Jahren beschloss die sterbende DDR ein wegweisendes Nationalparkkonzept. Sein geistiger Vater: Michael Succow, bis heute ein Mann fürs Praktische
VON UTA ANDRESEN
Die Fraktion der Luftverschmutzer? Die Bruderschaft der Erdölverbraucher? Die Mafia der Krötentotfahrer? Alles Vorurteile. Es wird Zeit, dass der ADAC den Alternativen Nobelpreis bekommt. Für seine Verdienste um den Umweltschutz. Denn gäbe es nicht den Club der deutschen Autofahrer, wären Müritz, Bodden, Elbsandsteingebirge, Hochharz und Jasmund heute vielleicht nicht Nationalparks.
Im Dezember 1989 machte sich eine kleine Gruppe von DDR-Naturschützern auf den Weg nach Bonn. Klaus Töpfer, damals Bundesumweltminister West, hatte geladen, und Michael Succow und seine Mitstreiter kamen. Das heißt: Sie versuchten es. Irgendwo im Fichtelgebirge blieb der Wartburg liegen. Die Reifen zerstochen, die Stasi soll es gewesen sein. „Da sah uns der ADAC“, sagt Michael Succow. Und der tat, was der ADAC in solchen Fällen zu tun pflegt: Er zog neue Reifen auf. Mit denen fuhr Succow dann seiner ersten Pressekonferenz entgegen und erklärte dort, dass man dringend ein Nationalparkprogramm für den Osten Deutschlands brauche.
Michael Succow, 63, grient vor sich hin, wenn er von dieser Westreise erzählt. Ein Autofahrerclub als Geburtshelfer des Naturschutzes Ost? Ja, Michael Succow, Biologieprofessor aus Greifswald, Träger des Alternativen Nobelpreises, Vater der ostdeutschen Nationalparks und Weltreisender in Sachen Biosphärenschutz, macht Kompromisse – und er hat seinen Spaß dabei. Denn ist es nicht die Umwelt, die gewinnt, wenn er den Versandhausmillionär Michael Otto dazu bringt, einen Nationalpark in Weißrussland zu unterstützen? Wenn er die Autobahnbrücke über das Peenetal bei Greifswald nicht bekämpft (was aussichtslos gewesen wäre), sondern die Planer davon überzeugt, dass sie entlang der alten Trasse laufen muss (was wenigstens das sensible Feuchtgebiet nicht weiter belastet)? „Was nützt es, der gute Mensch zu sein, aber nichts verändert zu haben?“ fragt er.
Mecklenburg-Vorpommern. Wer Schreiadler über der Müritz kreisen, Kraniche am Bodden im Frühjahr balzen sieht, hunderttausende Wasservögel im Odertal oder Orchideen an der Stubnitz auf Rügen bewundert, kann sicher sein: Michael Succow war lange vor ihm hier. Irgendwann in den Sechzigerjahren hat sich der junge Biologe hier in eine seiner vielen Kladden Notizen gemacht, bis er 1970 fand, nun reiche es für eine Petition an die Volkskammer der DDR, um diese Gebiete zu Nationalparks zu erklären. Nur: Es genügte der Volkskammer nicht.
Zuerst war es nur eine Strategie, die Methode, einer SED-Bezirksleitung ein Moor abzuschnacken und es als Naturschutzgebiet ausweisen zu lassen. „Die Funktionäre bekam man auf seine Seite, wenn man ihnen zum Schluss des Gesprächs Hoffnung gab, wenn man erklärte, wie es besser werden könnte. Das war der so genannte optimistische sozialistische Schluss“, sagt Succow.
Der sozialistische Schluss. Irgendwann, im Laufe der Achtziger, als die DDR müde und Naturschutz langsam möglich wurde, war es plötzlich nicht mehr Taktik. Es war zu einem Credo für Michael Succow geworden, zu einer Art ökologischem Planziel: Du musst reden, und der Realsozialismus wird wieder ein klein wenig lebenswerter. Also ging Succow zu den Funktionären, erklärte ihnen, dass die industrielle Landwirtschaft den Boden auslaugt, dass die Magerstandorte mit ihren Orchideen in Brandenburg immer seltener, die Moore mit ihren Kranichen in Mecklenburg-Vorpommern immer trockener werden und dass zu einem fortschrittlichen Sozialismus auch der Schutz der Natur gehöre. Dann kam die Wende, und aus dem Credo wurde mehr.
Anfang Februar 1990, der Besuch bei Klaus Töpfer in Bonn war erst wenige Wochen her, klemmte sich Michael Succow eine Akte unter den Arm und fuhr nach Pankow, ins Schloss Niederschönhausen. Es tagte der Zentrale Runde Tisch, das demokratische Gremium der sterbenden DDR, und das wollte von seinen Plänen hören. Also erzählte Succow, nur drei Wochen zuvor zum Vizeminister für Umwelt ernannt, dass die DDR Nationalparks nie wollte, weil diese der Klassenfeind, genauer, die USA, erfunden hatte. Erzählte, dass das Ostufer der Müritz schon 1936 ein Schutzgebiet war, die Nationalsozialisten es aber dem Protegé des Reichsmarschalls Hermann Göring, dem Millionär Kurt Herrmann gaben, der dort dann jagen ging. Was nach dem Zweiten Weltkrieg übrigens der Staatsratsvorsitzende der DDR, Willi Stoph, und seine Genossen erledigten. Historische Kontinuität einmal anders. Müritz, Schorfheide, Darßwald – insgesamt vier Prozent des DDR-Bodens waren „Staatsjagdgebiete“, kaum berührte Landschaften, in denen die realsozialistischen Bonzen das Märchen vom feudalistischen Herrschen lebten.
Und Michael Succow erzählte den neuen Sprechern des Volkes von den „Grenzsicherungsräumen“, von der innerdeutschen Grenze, von den Küstenwäldern, wo die Republikflüchtigen gejagt wurden. Landstriche, die niemand mehr brauchte, die kaum jemand betrat, in denen sich eine ungestörte Natur entwickeln konnte. Plötzlich waren etwa zwölf Prozent der DDR umsonst zu haben. Und warum nicht dem Volk geben, was des Volkes ist? „Die Wut war groß auf die Pfründen, und alle fanden die Idee gut“, sagt Succow.
Der stellvertretende Umweltminister verließ das Schloss, unterrichtete seinen Freund Matthias Platzeck, damals Minister ohne Geschäftsbereich, heute Ministerpräsident und SPD-Chef in Brandenburg, gemeinsam erklärten sie der Regierung Modrow, dass die DDR ihrem Land etwas schulde, und in der letzten Sitzung des Ministerrats, am 16. März 1990, wurde das Programm für die ostdeutschen Nationalparks verabschiedet. Succows Programm.
„Uns war klar, dass wir das ganz schnell in Sack und Tüten kriegen müssen“, sagt er. Die Wiedervereinigung nahte. Und wer wollte schon darauf vertrauen, dass danach ausgerechnet der Schutz der Natur oberste Priorität haben würde? Also holte Michael Succow sich Hilfe bei den Juristen des Töpfer-Ministeriums. Die sollten aus dem Beschluss der Modrow-Regierung schnell ein Vertragswerk machen. Bis zum Ende der DDR konnten immerhin 4,5 Prozent der DDR-Fläche – heute die Kernstücke der ostdeutschen Nationalparks und Biosphärenreservate – in die Realität bundesrepublikanischer Paragrafen hinübergerettet werden. Den Rest erklärten die ostdeutschen Bundesländer inzwischen zu Schutzgebieten. Der sozialistische Schluss, er wurde wahr, als der Sozialismus ging.
Nur dass dann der Kapitalismus kam. Mitte der Neunzigerjahre entdeckte der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) über 100.000 Hektar bundeseigene Flächen in den Schutzgebieten und begann zu verkaufen – an private Nutzer. Die Umweltschutzverbände organisierten Protest, im September 2000 einigte man sich. 50.000 Hektar sollen nun kostenlos an Umweltverbände und -stiftungen übertragen werden. Was mit den anderen 50.000 Hektar passiert, ist unklar. Die Umweltverbände können zwar kaufen, aber da ihnen das Geld fehlt, wird aus diesem Land wohl privater Besitz. Ein Kompromiss, an dem Michael Succow diesmal keinen Spaß hatte: „Jakutien stellt ein Viertel seines Landes unter Schutz. Und hier? Es ist eine Schande.“
Wackerow bei Greifswald. Das Niedrigenergiehaus in einer neuen Wohnsiedlung, im Wohnzimmer ein 35 Jahre altes Fernsehgerät, eines der ersten japanischen Farbgeräte, das die DDR importierte, im Garten ökologisch angebaute Kartoffeln und Rosenkohl. Einziger Luxus: die Randlage. Hinter dem Haus fließt der Ryck, man kann ihn bis zum Greifswalder Wieck begleiten.
Jemand wie Michael Succow würde gar nicht auf die Idee kommen, seine Aufsätze und Schriften zu ordnen. Wozu die Bauchpinselei? Wozu mit den hunderttausend Mark, die ihm der Alternative Nobelpreis 1997 einbrachte, persönliche Eitelkeiten realisieren? Succow steckte das Geld in eine Stiftung. Damit werden nun Waldstücke in Mecklenburg-Vorpommern angekauft oder Steppenlandschaften in Aserbaidschan zu Nationalparks entwickelt.
1992, das Nationalparkprogramm lief, der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) war gegründet, das Konzept für einen deutsch-polnischen Nationalpark im Odertal abgearbeitet. Die SPD wollte ihn in die Politik holen, die Grünen wollten ihn auch. Naturschutzverbände riefen, außerdem die Universität Greifswald in der letzten Ecke Mecklenburg-Vorpommerns. Michael Succow entschied sich für die Universität in der Provinz, an der er einst studiert hatte. „Um Jüngere heranzubilden, die keine intelligenten Monster werden, sondern Wissen mit Verantwortung paaren“, wie er sagt. Daraus wurde der internationale Studiengang Landschaftsökologie und Naturschutz, den Succow immer noch für seinen größten Coup hält. Nicht den Nobelpreis, dessen Urkunde im Flur unter der Ehrenbürgerurkunde seines Geburtsorts Lüdersdorf hängt. Nicht die Nationalparks, die einige Kilometer hinter seinem Haus beginnen.
So viel Distanz zu sich selbst muss man erst mal haben. Vielleicht sorgte dafür der Prager Frühling. Damals lernte Michael Succow: „Wer ehrgeizig ist, wird missbrauchbar.“ Damals, noch Botanik-Assistent an der Universität Greifswald, hängt er nächtelang am Radio, Alexander Dubček war seine Hoffnung. Tags im Institut wird eine Erklärung herumgereicht, die den Einmarsch des Warschauer Paktes feiert. Michael Succow unterschreibt nicht. Er muss die Universität verlassen, findet Arbeit in einem Meliorationskombinat in Bad Freienwalde, muss Böden für die „sozialistische Intensivierung der Agrarproduktion“ kartieren, ihre Güte prüfen – und sie freigeben für die industrielle Landwirtschaft. „Odertal, Schorfheide, Chorin – das sind Kindheitsträume. Und ich musste mit ansehen, wie sie degradiert wurden.“
Genug, um bitter zu werden. Doch war es nicht seine Entscheidung? „Wer nicht brav war, musste sich eben durchwurschteln.“ Das tat er. Ging 1987 für die Liberaldemokratische Partei (LDPD) in die Volkskammer. Der Pionier des ostdeutschen Naturschutzes, Kurt Kretschmann, hatte zu ihm gesagt: „Als außenstehender Kritiker nützt man dem Naturschutz nicht.“ Er hielt Vorträge vor Funktionären – und Bürgerrechtlern. Erst zehn Jahre nach der Wende traut Michael Succow sich, seine Stasi-Akte einzusehen. Zehn Leute haben ihn bespitzelt. Freunde, Mitarbeiter, Nachbarn. Nur einer habe ihm geschadet. „Die meisten schützten mich“, glaubt er. Die IM schrieben, dass hier keiner gegen die DDR arbeite, sondern sie mit seiner Kritik verbessern wolle. „Und das stimmte ja auch.“ Warum also sollte er, die Zielperson, ihnen das übel nehmen?
Heute verbringt Succow einen Großteil seiner Arbeit damit, Naturschutzprojekte in Osteuropa und Asien zu fördern. Die Moore Weißrusslands, die Nussbaumwälder Kirgisiens, die Vulkanlandschaften Kamtschatkas – für einen „sozialistischen Schluss“ muss er inzwischen weit reisen.
UTA ANDRESEN, 35, ehemalige taz.mag-Redakteurin, lebt als Journalistin in Berlin