Stuttgart-21-Architekt über Proteste: "Das ist fahrlässige Meinungsmache"
Christoph Ingenhoven entwarf den Bahnhof, gegen den fast eine ganze Stadt rebelliert. Im Protest gegen das größte Bahnprojekt Deutschlands sieht er einen antimodernen Reflex.
taz: In Stuttgart ketten sich Menschen an Bauzäune, blockieren Bagger und besetzen Teile des alten Kopfbahnhofes. Und alles nur, um den Bau des neuen Bahnhofs zu verhindern, den Sie entworfen haben. Sind Sie der Buhmann einer ganzen Stadt?
Christoph Ingenhoven: Nein. Die meisten der profilierten Gegner des Projektes verhielten sich unserer Arbeit gegenüber bisher eher respektvoll.
Was denkt man, wenn der eigene Entwurf als "Pickel der Moderne" bezeichnet wird?
Der Architekt
wurde 1960 in Düsseldorf geborene. Christoph Ingenhoven studierte Architektur in Aachen und der Kunstakademie Düsseldorf. 1985 gründete er sein eigenes Architekturbüro. Zu den bekanntesten Bauten von ingenhoven architects gehören der Neubau der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg, die Hauptverwaltungen der Lufthansa am Frankfurter Flughafen, die Neue Messe Hamburg und der Breezé Tower im japanischen Osaka. Auch der Entwurf für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag stammt aus seinem Büro. Für den Entwurf des Stuttgarter Hauptbahnhofes gewann Ingenhoven unter anderem den Holcim Awards Gold und Silber für nachhaltiges Bauen. Er setzt sich nach eigenen Angaben für nachhaltige und ökologische Architektur ein - seine Gebäude werden dazu nach internationalen Standards zertifiziert.
Das Projekt: Die Deutsche Bahn als Bauherr will mit "Stuttgart 21" in zehn Jahren den heutigen oberirdischen Kopfbahnhof in Stuttgart mit 17 Gleisen in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen verwandeln. Zudem sollen Gleise in 33 Kilometer langen Tunnels unter der Stadt verschwinden, dazu kommen 18 Brücken und zwei weitere Bahnhöfe. Zugleich soll eine neue ICE-Trasse bis Ulm gebaut werden. Ohne sie würden die neuen Strecken in der Schwäbischen Alb enden.
Der Preis: Offiziell beziffert die Bahn die Gesamtkosten auf 6,978 Milliarden Euro - 2,89 Milliarden für die ICE-Neubaustrecke und 4,088 Milliarden für "Stuttgart 21". Der Bundesrechnungshof kam bereits 2007 für Stuttgart 21 auf 5,3 Milliarden, von Projektgegnern in Auftrag gegebene Gutachter kommen auf wesentlich höhere Gesamtkosten von bis zu elf Milliarden Euro. Zudem ziehen sie den Nutzen des Vorhabens infrage. Das Umweltbundesamt kritisiert in einer Studie über effektiven Güterverkehr von dieser Woche das Vorhaben als "verkehrlich hochgradig ineffektiv".
Der Protest: Bereits seit den Neunzigerjahren gibt es in der Stadt Widerstand gegen "Stuttgart 21", der in letzter Zeit immer heftiger wird. Am heutigen Freitag soll es eine Lichterkette geben. Die Gegner wollen den alten Kopfbahnhof sanieren und den Nahverkehr besser angebunden sehen. Aktueller Anlass des Widerstands ist der wohl kommende Woche beginnende Abriss des Nordflügels des alten Bahnhofs.
Ach Gott. Wenn ich Kritik nachvollziehen kann, rede ich gern darüber. Aber das ist einfach nur indiskutabel. Wir haben für den Entwurf dutzende internationale Auszeichnungen bekommen.
Sind die Stuttgarter Provinzheinis, die einfach nicht verstehen, was Sie da planen?
Die Stuttgarter sind nicht alle Gegner des Projekts. Es gibt eine kleine, militante Gruppe, die den Bahnhof besetzt, dahinter eine größere Gruppe von Demonstranten. Das sind meistens nette, normale Bürger, die, um es vorsichtig zu sagen, der älteren Generation angehören. Die bekämpfen den Bahnhof in einem Stellvertreterkampf, weil sie keine Veränderung wollen.
Der ganze Aufruhr wegen eines Reflexes gegen Neues?
Der Protest will den alten Kopfbahnhof von Paul Bonatz erhalten. Angeblich war Bonatz ein Vertreter der beginnenden Moderne. Das ist falsch. Er war ein Gegner der berühmten Weißenhof-Siedlung in Stuttgart, das in den Zwanzigerjahren sicher weltweit bedeutendste Beispiel eines avantgardistischen Architekturexperiments. Bonatz war also eher ein Antimoderner.
Woran machen Sie das fest?
Sein ganzer Kopfbahnhof mit den riesigen Bögen hat eine ungewöhnliche Monumentalität, stilistisch ein Rückgriff auf die Ritterburg. Die gleiche antimoderne Haltung kann man zum Teil in dem Protest ablesen. Er ist Teil einer älter werdenden Gesellschaft. Die will erhalten, nicht verändern.
Sie stellen den Protest dar, als würden da nur ein paar reiche Rentner rummeckern. Tatsächlich sind aber auch sehr viele junge Menschen dabei, in Umfragen ist die Mehrheit gegen Stuttgart 21.
Das sind doch Märchen. Fakt ist, dass lange Zeit eine Mehrheit dafür war. Lesen sie mal die Blogs im Internet, da gibt eine ziemliche Ausgeglichenheit zwischen Gegnern und Befürwortern: Handwerker, Architekten, Dienstleister, Bauarbeiter, die wollen es, aber gehen nicht auf die Straße.
Warum denn nicht?
Als pensionierter Lehrer kann mir eine Flughafenanbindung, das europäische Schnellbahnnetz oder die konjunkturelle Entwicklung egal sein, weil ich ohnehin meine Rente bekomme. Aber ich kann nicht so tun, als sei ich moralisch im Recht. Es ist 13 Jahre mit Unterbrechungen geplant worden und von der Frischluftzufuhr bis zu den Mineralquellen der Stadt alles berücksichtigt. Es sind 11.500 Einsprüche abgehandelt worden, es wurden Entschädigungen gezahlt, es gab gewonnene Gerichtsverfahren und parlamentarische, zustimmende Entscheidungen auf allen Ebenen. Nur die Grünen sind dagegen. Da muss man sagen: Leute, ihr kommt mit eurem Kopfbahnhof zu spät, er ist fast genauso teuer und alle Nachteile bleiben Stuttgart erhalten. Also was soll das?
Sind sie von der politischen Diskussion genervt?
Die letzten sechs Jahre habe ich mich eher zurückgehalten, man hätte damals auch keine klare Projektperspektive gehabt. Jetzt mische ich mich wieder ein, weil ich nach wie vor gut und richtig finde, was wir da bauen und es erklären kann.
In ganz Deutschland gab und gibt es Skepsis gegenüber ähnlichen Großprojekten, etwa gegen den Hauptbahnhof in Berlin oder gegen die Elbphilharmonie. Wie kann man architektonisch auf diese Skepsis antworten?
Wir bauen nicht blind Großprojekte, wir machen dezidiert zeitgenössische Architektur. Das sind doch Projekte, die aus Notwendigkeiten, Strukturveränderungen, städtebaulichen Erwägungen und vielem anderen mehr geplant werden. In Berlin ist aus der ewigen Diskussion um Stein oder Glas eine sehr historisierende Architektur herausgekommen. Das entsetzt mich zutiefst. Warum bedienen sich Menschen alter Stile? Um es etwas heimeliger zu haben? Das ist fahrlässig und bequem. Das heißt, sich mit den Problemen und Formen und auch den Möglichkeiten seiner Zeit nicht auseinandersetzen zu wollen, denn dazu müssten wir uns anderer Materialien und Techniken bedienen. Diese Skepsis ist für mich eine Art den, eigentlichen Themen aus dem Weg zu gehen.
Ist das typisch deutsch?
In Deutschland ist nach dem Krieg enorm viel gebaut worden. Und wer viel tut macht auch Fehler. Den Leuten hing die Zunge raus, überall Neues. Heute entsteht langsam Verständnis für die Fünfzigerjahre-Architektur und sie wird unter Denkmalschutz gestellt. Vielleicht muss Architektur ein gewisses Alter erreichen, um in der Öffentlichkeit als schätzenswert zu gelten.
Die Architektur der Moderne will, dass sich die Form am Nutzen orientiert. Die meisten unabhängigen Experten sagen: Der neue Stuttgarter Bahnhof wird schlechter sein als der alte. Insofern bauen sie repräsentativ und anti-modern.
An dem Projekt arbeiten die besten Ingenieure, Berater und Spezialisten. Jetzt kommen Leute daher und sagen mal eben, dieser Bahnhof leistet nichts. Das ist doch fahrlässige Meinungsmache. Das entbehrt jeder Grundlage.
Jetzt drehen sie die Argumentation der Gegner einfach um: Manche sprechen von einer "Stuttgart 21 Mafia" und sagen, die Bahn und die Politik schönt und kauft Studien.
Da muss man eigentlich jeden Kommentar ablehnen. Das ist für mich nicht die geeignete Diskussionsebene.
Die Gegner sind unter anderem der Verkehrsclub Deutschland, Pro Bahn und der BUND. Selbst der Bundesrechnungshof sagt: Der Bahnhof wird teurer als geplant. Alles Meinungsmache?
Die Aussage über die Kostenerhöhung, 13 Jahre nachdem mit der Planung begonnen wurde, ist ja erst mal nicht völlig falsch, nur was daraus gemacht wird, ist Unsinn.
Die Kosten sind ständig gestiegen, von offiziell 2,5 Milliarden auf 4,1 Milliarden heute. Können Sie verstehen, dass die Leute sauer sind?
Diese sogenannten Kostenexplosionen sind doch Märchen! Warum sind die Leute so überrascht davon? Das Projekt hat insgesamt eine Komplexität, die ja nicht kleiner geworden ist.
Bahnchef Rüdiger Grube kam intern auf 4,9 Milliarden, und will jetzt kräftig sparen. Wo mussten Sie denn abspecken?
Es gab keine Abspeckrunde. Was es gibt, sind Veränderungen aufgrund veränderter Vorschriften und fortschreitender technischer Erkenntnisse sowie normale Anpassungen im Laufe der Ausführungsplanungen, wenn dabei Kosten gespart werden können, tun wir das wie in jedem anderen Projekt!
Bereits 18.000 Menschen haben sich als "Parkschützer" registriert und wollen verhindern, dass im Schlosspark wegen des Neubaus 283 alte Bäume gefällt werden. Verstehen Sie das?
Die Bäume sind natürlich ein emotionales Thema. Ja, es werden welche gefällt. Und dann durch eine wesentlich höhere Zahl ersetzt, das scheint die Gegner nicht zu irritieren. Keine Frage, die nächsten 10 Jahre wird es erst mal nicht so schön aussehen, danach umso besser. Aber vor dem Hintergrund hätte der württembergische König den Schlosspark nie anlegen dürfen, denn dafür musste auch bestehende Vegetation weichen.
Dass sie mit dem Bonatz-Bau ein denkmalgeschütztes Gebäude beschneiden, stört Sie nicht?
Was die Stuttgarter als ihren Bahnhof bezeichnen, das wird ja alles erhalten: Die Halle mit ihren einfachen Raumfolgen, die ist durchaus großartig und sogar so nachhaltig, dass wir sie in dieser völlig veränderten Lage immer noch verwenden können. Was wir abreißen, ist eine 13 Meter hohe Verkleidung der in Hochlage befindlichen Gleise, die verschwinden ja. Ich weiß, man zahlt einen Preis für den neuen Bahnhof, aber es lohnt sich. Sie werden sehen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid