Studium trotz schwacher Abi-Note: Bildungsasyl an den Karpaten
Abiturienten, die in Deutschland keinen Studienplatz finden, werden in Rumänien umworben: Die Unis bieten Programme auf Deutsch – von Medizin bis BWL.
BERLIN taz | Viktoria will unbedingt Kinderärztin werden. Aber mit einer Abi-Note, die schlechter als zwei ist? In Deutschland konnte sie damit nirgends einen Medizinstudienplatz bekommen. Darum studiert die 22-Jährige nun in Temeswar, einer 300.000-Einwohner-Stadt im Westen Rumäniens.
Vor zwei Jahren fand sie das Land nicht einmal auf der Landkarte. „Meine Freunde fragten mich anfangs verdutzt, was ich denn in Osteuropa wolle.“ Heute will Viktoria das Studium nicht mehr missen: Die Ausbildung sei praxisnah, die Hörsäle nicht so überfüllt wie an mancher deutschen Uni.
Viktoria ist nicht die einzige Deutsche, die die Flucht vor dem Numerus clausus nach Rumänien verschlagen hat. Wie viele Deutsche genau in Rumänien studieren, lässt sich schwer ermitteln. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) geht von rund 300 Studenten aus – nicht viel, aber eine Verachtfachung binnen vier Jahren.
Vor 40 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht Zulassungsbeschränkungen für rechtens erklärt. Seither haben sie sich von der Ausnahme zur Regel entwickelt: Von 16.389 Studiengängen, die im Portal hochschulkompass.de gelistet sind, ist nur knapp über die Hälfte zulassungsfrei. In den übrigen Fällen entscheidet in der Regel die Abiturnote - der berüchtigte Numerus Clausus - darüber, ob ein Bewerber zum Zug kommt. Unterschieden wird zwischen einer bundesweiten Zulassungsbeschränkung für die Fächer Medizin, Pharmazie, Tiermedizin und Zahnmedizin und einer örtlichen varierenden Zulassungsbeschränkung in anderen Fächern.
Mehrfachbewerbungen führen regelmäßig zum Chaos bei der Studienplatzvergabe. Ein bundesweites Vergabeportal soll das ändern: Seit diesem Jahr werden Studienplätze zentral über hochschulstart.de verteilt. Wegen Softwareproblemen sind aber erst 17 Hochschulen mit 22 Studiengängen an das System angeschlossen. (BK)
Auch Andre Motoc, der Vizedekan der Medizinischen Fakultät an Viktorias Uni, berichtet von einem Ansturm deutscher Studierender – deswegen soll demnächst ein Studiengang komplett auf Deutsch starten. Ungewöhnlich ist das nicht: Über 73 deutschsprachige Studiengänge an 19 Universitäten locken Studierende ins Land, hat der DAAD ermittelt. Und die Unis haben es längst nicht mehr nur auf die Mediziner abgesehen: Das Fächerspektrum reicht von Betriebswirtschaft, Journalistik bis hin zu Europawissenschaften.
Österreich und die Schweiz erschwerten den Zugang
Dass Deutsche zum Studieren immer weiter in den Osten flüchten, könnte auch daran liegen, dass Österreich und die Schweiz ihnen mittlerweile den Zugang zu ihren Hochschulen erschwert haben. Österreich hat 2008 eine Regelung einführt, nach der 75 Prozent der Medizinstudienplätze für Einheimische reserviert sind. Die Schweiz übernimmt seit dem vergangenen Jahr die deutschen NC-Grenzen – außer für heimische Bewerber.
In Rumänien gibt es all das nicht. Dafür muss man tief in die Tasche greifen: Je nach Universität zahlen Studierende 2.000 bis 5.000 Euro pro Jahr. Ursprünglich richtete sich die Gebührenhöhe nach der Nationalität der Studierenden. Die Europäische Kommission hat Rumänien aber dazu ermahnt, alle Studenten aus der EU gleich zu behandeln.
Geändert hat sich dadurch wenig: Die Gebühren unterscheiden sich nach der Unterrichtssprache. Deswegen zahlen Einheimische in rumänischsprachigen Studiengängen mit rund 500 Euro deutlich weniger. Ausländische Studierende können sich allerdings für ein Stipendium bewerben, mit dem ihnen die Gebühren erlassen werden. Voraussetzung ist ein sehr guter Studienerfolg.
Peter Hiller, beim DAAD zuständig für Osteuropa, sieht in den hohen Gebühren ein Problem: „Die Zielgruppe für die Studiengänge sind also jene, die es sich leisten können.“
„Klar“, sagt auch Studentin Viktoria, „es ist teuer, hier zu studieren. Dafür sind die Lebenshaltungskosten gering.“ Viktoria hat Glück: Ihre Eltern sind Zahnärzte und können die 5.000 Euro Gebühren bezahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen