Studie zu unterbezahlten Frauen: 22 Prozent mehr für den Schlips

Berufstätige Frauen werden europaweit schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Der "Equal Pay Day" soll jetzt die Regierung unter Druck setzen, um das zu ändern.

Wenig überraschend: Krawatten tragen lohnt sich. Bild: dpa

Es ist ja nicht nur die Geschlechterdiskriminierung, die Frauen in schlecht bezahlten Jobs landen lässt. Vieles spielt sich auch im Kopf so mancher Frau selbst ab. Fünf Lebenslügen, die Frauen teuer zu stehen kommen können:

1. Der Klassiker: "Chefin werden? Nee, da mach ich lieber was Inhaltliches. Mir geht es um die Sache, nicht um Karriere." Eine Bewerbung um den Posten der Arbeitsbiene, der traditionell schlecht bezahlt wird. Außerdem: Wenn der Chef, der einen so doll schätzt, irgendwann mal wechselt, dann kann die Arbeitsbiene plötzlich ganz alt aussehen.

2. Die Machtkampf-Lüge: "Chef werden, das sind doch nur Hahnenkämpfe. Ist doch albern, wie sich die Männer gegenseitig die Nase blutig schlagen. Daran will ich mich nicht auch noch beteiligen." Falsch. EntscheiderInnen müssen einfach mehr einstecken können. Und bekommen daher mehr Geld. Schmerzensgeld. Und das wollen Sie doch, oder?

3. Die Immaterielle: "Geld ist mir nicht so wichtig. Ich mach lieber was Authentisches." Die Künstlernummer. Selbstverwirklichung. Als Essayistin, Yogalehrerin oder mit einem Künstlercafé. Achtung, Verbitterungsrisiko ! Wenn am Ende die Altersarmut droht. Mehr Geschäftssinn, bitte!

4. Die Komfortzone: "Karriere? Würde ich mit den Kindern doch sowieso nicht schaffen. Ich geh erst mal auf Teilzeit. Mein Mann verdient ja genug." Vorsicht, Absturzrisiko! Wovon leben Sie nach der Scheidung? Und wenn Ihr Mann seinen Job verliert? Dann droht …

5. … die "Nun ist es zu spät"-Lüge: "Mit den Kindern war nun mal nicht mehr zu schaffen. Und jetzt noch einen Vollzeitjob entsprechend meiner Ausbildung zu finden, kann ich vergessen mit 45." Nur leider bleiben auch im Alter von 45 Jahren noch mindestens 20 Jahre Berufsleben. Da müsste sich noch irgendwas finden lassen.

Eigentlich wissen es alle. 68 Prozent der deutschen Bevölkerung - Männer wie Frauen - geben an, dass Frauen in Deutschland schlechter verdienen als ihre gleich qualifizierten Kollegen mit dem Schlips. Das ergab eine gestern vom Familienministerium veröffentlichte Befragung. Der Eindruck stimmt: Vollzeit arbeitende Frauen haben in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger in der Lohntüte. Damit liegen wir europaweit ganz hinten, die EU-Durchschnittslücke beträgt nur 15 Prozent. Alle wollen handeln: Die Europäische Kommission mahnt, und auch 90 Prozent der Befragten in Familienministerin von der Leyens Studie möchten, dass sich etwas ändert. Doch außer einem hübschen Päckchen Problembewusstsein ist der Regierung bisher wenig eingefallen.

Deshalb rufen der Frauenrat als Dachorganisation der deutschen Frauenverbände und das weltweite Netzwerk "Business and Professional Women" (BPW) heute den "Equal Pay Day" aus, ein symbolisches Datum, bis zu dem Frauen arbeiten müssen, um den Verdienst der Männer aus dem vergangenen Jahr zu erreichen. Rechnerisch wäre dieser Tag Ende März fällig, wegen der Osterferien hat man ihn auf den 15. April verschoben. "Im Schnitt verdienen Frauen 647 Euro weniger pro Monat", so Bettina Schleicher vom BPW gestern in Berlin.

WissenschaftlerInnen verweisen meist auf ein "Bündel" von Ursachen für die Gehaltslücke: So sind Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, häufig schlecht bezahlt. Dazu zählen etwa Sozial- und Pflegeberufe. Zudem ist fast die Hälfte aller berufstätigen Frauen in Teilzeit beschäftigt, was der Karriere und der Lohnhöhe nicht förderlich ist. Frauen leisten weniger Überstunden und unterbrechen ihre Laufbahn häufiger für die Kinderphase. Der wichtigste Grund: Sie klettern in den Hierarchien nicht sehr hoch. Nur ein Zehntel der Chefs sind Frauen.

Oft sind nicht "die Männer" oder "die Unternehmen" schuld an der Diskriminierung. Die Berufswahl, die Teilzeitjobs und die Unterbrechungen werden ja von Frauen selbst so geplant. Doch fallen diese Entscheidungen innerhalb von Strukturen, die ihnen wenig Alternativen lassen. Wenn der Staat keine Kitaplätze zur Verfügung stellt, brauchen sie mehr Zeit für die Kinder. Alte Rollenbilder lassen sie gar nicht erst auf die Idee kommen, Physik oder Informatik zu studieren. Das Steuerrecht mit Ehegattensplitting und der ungünstigen Steuerklasse V für berufstätige Ehefrauen lässt ihren Job wenig lukrativ erscheinen. Und auch, dass der Gesellschaft die sozialen Berufe generell weniger wert sind als die technischen, ist nicht die Schuld der Frauen. Sie haben eine schlechtere Ausgangslage. Letztendlich ist unser ganzes System noch auf die "Zuverdiener-Frau" ausgerichtet. Weshalb die Forschung auch von struktureller Diskriminierung spricht.

Die strukturelle Benachteiligung sorgt dann für einen "sich selbst verstärkenden Prozess", wie Experten vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung es nennen: Personalchefs nehmen an, dass alle Frauen weniger Überstunden machen und ihre Tätigkeit häufiger unterbrechen, ohne dies bei jeder einzelnen Frau zu überprüfen - und befördern sie deshalb generell weniger. Die viel zitierte Glasdecke entsteht. Frauen ihrerseits erleben, dass sie weniger gefördert werden, und steigen deshalb eher aus dem Beruf in Richtung Familie aus. Ein Teufelskreis.

Das Tückische an der Glasdecke: Sie ist nicht sichtbar. Niemand sagt: Nö, die befördern wir nicht. Aber Manager rechnen einfach vom Stereotyp hoch auf die Frau, die sie vor sich haben. Von Männern erwarten sie Einsatz, von Frauen eben nicht.

Was nun? Auf allen Ebenen aktiv werden, empfahlen gestern die Business and Professional Women. Dazu gehören auf der strukturellen Ebene nicht nur der Ausbau der Kitas und die Veränderung des Steuerrechts. Das Ehegattensplitting etwa sorgt dafür, dass wenig verdienende Frauen ihren Ehegatten einen Steuerbonus bescheren. SPD und Grüne wollten es schon lange abschaffen - ohne es zu tun. Von der Leyens Union dagegen hält am Hausfrauenbonus fest. Dazu müsste auch die niedrige Bewertung typischer Frauentätigkeiten in Tarifverträgen verändert werden. "Ist die Arbeit einer Erzieherin wirklich weniger wert als die eines Tierpflegers?", fragte Schleicher gestern rhetorisch.

Auch die Grünen wollen auf dieser Ebene ansetzen und fordern die Bundesregierung in einem Antrag auf, im Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVöD) für eine gerechtere Bewertung von typischen Frauentätigkeiten zu sorgen, wie es das EU-Recht schon lange fordert. "Geradezu bizarr" sei es, dass die Regierung "kräftig die Lohndiskriminierung geißelt, als könne sie gar nichts daran ändern", moniert die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irmingard Schewe-Gerigk.

Aber auch individuell können Frauen etwas tun: die zeitliche Belastung durch Kinder mit dem Partner gerecht teilen. Offensiv in Gehaltsverhandlungen gehen. Und schließlich kann man die unsichtbare gläserne Decke immer wieder sichtbar machen: darüber sprechen, Chefs informieren. Oder mal den Equal Pay Day begehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.