Studie des Umweltbundesamts: Öko nur im Kopf
Die Deutschen geben sich umweltbewusst, wollen dafür aber nur wenig tun und bezahlen. Das geht aus einer Studie des Umweltbundesamts hervor.
BERLIN dpa | Gutverdiener mit ökologischen Einstellungen verschmutzen die Umwelt stärker mit Klimagasen als ärmere Bürger ohne ausgeprägtem Umweltbewusstsein. Für den Präsidenten des Umweltbundesamts ist das zunächst leicht zu erklären: Sie haben schlicht mehr Geld für Flugreisen, Geräte oder Autofahren, wie Jochen Flasbarth bei der Vorstellung der Studie "Umweltbewusstsein in Deutschland 2010" sagt. Doch eine wachsende Minderheit der Bürger hat sich mit einem bewussten ökologischen Lebensstil im Alltag angefreundet.
Insgesamt ist sich Deutschland weitgehend einig: Umwelt- und vor allem Klimaschutz ist eine zentrale Aufgabe. Mehr als vier von fünf Bundesbürger beurteilen die Umweltqualität weltweit als schlecht. 78 Prozent halten zusätzliche politische Schritte für nötig gegen eine andernfalls dramatische Verschlechterung der Lage. 85 Prozent sind für einen Umstieg auf Erneuerbare Energien, 82 Prozent für viel mehr staatlichen Druck auf die Wirtschaft hin zu Klimaverträglichkeit.
"Die unteren sozialen Milieus glauben generell weniger an die Umweltschutzakteure in Politik und Wirtschaft und sie trauen sich auch geringere eigene Beiträge beim Umweltschutz zu", sagt Flasbarth. Klassische Ökos, digital Vernetzte, Leute mit liberalen Einstellungen - bei ihnen allen schlagen die pro-ökologischen Werte nach oben aus. Doch zugleich gilt: "Das ist durch die Fakten gedeckt, dass die, die geringere finanzielle Möglichkeiten haben, auch geringere Umweltauswirkungen verursachen, weil sie sich bestimmte Dinge nicht leisten können."
Auch bei den konkreten Schritten für persönlichen Klimaschutz weist die Studie freilich Fortschritte aus - wenn diese auch gering erscheinen angesichts des allgemein geforderten Umschwungs hin zu mehr Umweltverträglichkeit. So finden 26 Prozent das umweltschonende und die Autokosten senkende Car-Sharing attraktiv. 74 Prozent tun dies aber nicht. Unter den Jüngeren bis 29 ist aber jede Dritte für das organisierte Teilen von Autos. Und nur 8 Prozent haben Ökostrom - vor zwei Jahren waren es aber nur 3 Prozent.
Immerhin 71 Prozent geben an, gezielt Obst und Gemüse aus der Region zu kaufen, sogar 92 Prozent achten beim Kauf von Elektrogeräten auf die Effizienzstufe. Bio-Lebensmittel kaufen aber nur noch 34 Prozent - nach 43 Prozent vor zwei Jahren. Der Anteil der Menschen, die für nachweislich klimaverträgliche Produkte keinen Aufpreis akzeptieren würden, sank seit 2008 von 57 auf 49 Prozent. Vier von zehn Bürgern würden 10 Prozent mehr zahlen, der Rest sogar 20 oder 30 Prozent mehr. Generelle Tempolimits in der Stadt und auf der Autobahn - angeblich ein rotes Tuch für viele in der Autofahrernation Deutschland - werden sogar von 58 Prozent der Bürger befürwortet.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) zeigt sich überzeugt, dass die Klimaprobleme ohne entsprechenden Bürgerwillen nicht gelöst werden können: "Diese Bereitschaft weiter zu wecken und zu fördern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe." Bei Amtschef Flasbarth hört es sich eher umgekehrt an: Viele Bürger, so schlussfolgert er aus den Daten, wollen mehr Klimaschutz in Wirtschaft und Industrie, im Verkehr, beim Einkaufen.
Warum eine kleiner werdende, aber immer noch deutliche Mehrheit in den meisten Bereichen dann aber selbst noch nicht so recht aktiv wird? "Wenn ich auf der Autobahn als einziger mit 100 fahre und alle anderen fahren an mir vorbei, sinkt die Bereitschaft, etwas für die anderen zu tun." Der Ruf nach schärferen Gesetzen steht für Flasbarth dazu nicht im Widerspruch. "Jedenfalls scheint die Aufgeschlossenheit für staatliches Handeln, sogar die Aufforderung für staatliches Handeln größer zu sein, als gelegentlich vermutet wird."
Bis dahin haben es die vielen Menschen mit eher theoretischem Umweltbewusstsein jetzt amtlich: Am meisten kann laut Flasbarth für den Umweltschutz gewonnen werden, wenn mehr Einstellungs-Ökos allmählich zu echten Ökos werden.
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