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Studentenwanderung nach OstenDann eben rüber

Die Ost-Unis profitieren von den Rekordzahlen an Bewerbern für Studienplätze: Noch nie gab es so viele Studierende und noch nie so viele aus dem Westen.

Moderne Ausstattung, gute Betreuung, niedrige Kosten: der fertige Neubau der Uni Leipzig. Bild: dpa

"Bist du verrückt, du bist eine Ausländerin und gehst in den Osten?" Die Reaktionen ihrer Freunde, als sie ihnen ihren künftigen Studienort vorstellte, waren entmutigend. Katharina Budimir ließ die Warnungen an sich abprallen. "Mich beunruhigt das nicht, in Berlin gibt es doch genauso viele Kriminelle." Ab Oktober studiert sie in Cottbus Landnutzung und Wasserbewirtschaftung. Die Uni hatte sie bereits vor Semesterbeginn begutachtet. "Beeindruckend, supermodern" ihr Urteil. Über ihren Studienort ist sie zwiespältiger Meinung. "Man kommt sich schon vor wie im Osten. Überall sind Plattenbauten, und es ist ziemlich unbewohnt."

Nicht Passion, sondern Pragmatismus führen die Abiturientin aus dem Westberliner Bezirk Spandau in das brandenburgische Cottbus. Sie will Landschaftsarchitektur studieren, doch mit einem Abi-Schnitt von 3,3 hat sie an den Berliner Hochschulen keine Chance. Die haben für fast alle Studiengänge eine Zulassungsbeschränkung verhängt. Die BTU Cottbus hingegen hält die meisten Bachelor-Studiengänge für alle Interessenten offen. Und sie profitiert davon. Noch nie waren so viele Studierende eingeschrieben, rund 7.000 erwartet die Hochschule für dieses Wintersemester.

Einen ähnlichen Aufschwung erleben zurzeit viele ostdeutsche Hochschulen. Sie profitieren von dem Bewerberhoch im Westen. Während in der Vergangenheit nur etwa 4 Prozent der westdeutschen Studienanfänger in den Osten zogen, vermelden Universitätsstädte wie Leipzig, Jena und Halle derzeit einen neuen Rekord an westdeutschen Bewerbern.

Die ostdeutschen Universitäten werben mit ihrer modernen Ausstattung, der noch überschaubaren Zahl von Studierenden und der daraus resultierenden besseren Betreuung durch die HochschullehrerInnen. Auch die Kosten sind ein wichtiges Argument: Die Mieten sind bezahlbar, Studiengebühren gibt es in den ostdeutschen Universitäten nicht.

Besser und billiger

Der Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin, Dieter Dohmen, geht davon aus, dass der Bewerberansturm aus dem Westen anhalten wird. Zum einen gehe die demografische Kurve im Osten seit einigen Jahren nach unten, während im Westen noch die geburtenstarken Jahrgänge an die Hochschulen drängen.

Zum anderen kämen weitere doppelte Abi-Jahrgänge aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf die Hochschulen zu. Die Schulabgänger müssten flexibel in der Wahl ihres Studienorts sein: "Es ist absehbar, dass die westdeutschen Studienplätze nicht für die westdeutschen Abiturienten reichen werden."

Für die ostdeutschen Unis ist der Nachwuchs aus dem Westen existenziell wichtig. Die Zahl der Schüler ist seit Beginn der 90er Jahre um fast 50 Prozent gesunken, die Zahl der Abiturienten wird 2013 einen neuen Tiefpunkt erreichen. Die neuen Länder bekommen aus dem Hochschulpakt "Halteprämien", wenn sie Studienplätze nicht abbauen. Doch die heimischen Finanzminister versuchen beständig, die Budgets zu beschneiden. So musste die BTU Cottbus in den letzten beiden Jahren 14 Professorenstellen und 31 akademische Mitarbeiterstellen abgeben. Und für 2012 drohten erneut die Kürzung von 2 Millionen Euro, berichtet die Hochschulleitung.

Dann ist Katharina Budimir vielleicht schon wieder weg. "Ich will probieren, nach dem ersten Semester an eine Berliner Uni zu wechseln." Auf die Dauer in Cottbus zu wohnen, das könne sie sich dann doch nicht vorstellen.

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5 Kommentare

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  • AL
    Anna Lehmann

    Die Bebilderung und die Bildunterschrift haben mich allerdings auch erstaunt.

  • O
    oleolsen

    der artikel blendet aus, dass zumindest die beliebten ost-uni-städte wie leipzig oder jena nicht die kapazitäten haben - in jena ist wohnen kaum mehr bezahlbar und die hörsäle knackevoll, in leipzig gilt zumindest auch letzteres.

  • N
    Nada

    Zur Bildunterschrift, in der über die Uni Leipzig "Moderne Ausstattung, gute Betreuung, niedrige Kosten" gesagt wird, möchte ich anmerken, dass es hier einiges gibt, aber keine gute Betreuung - zumindest in den Geisteswissenschaften.

    Was die Ausstattung angeht, so könnte diese sicherlich eine kleine Uni mit insgesamt rund 10.000 Studierenden erfreuen, für die rund 30.000 wirkt aber alles wie mit falschen Maßstab geplant.

     

    Was die Kosten angeht, so mögen die für die Lehre sinken - schließlich werden ja auch Fachbereiche geschlossen und fast alel Fakultäten sind in großem Maße unterbesetzt. Das Geld wurde scheinbar komplett für den Neubau der Universitätskirche aufgebraucht. Aber was sind schon 150 Millionen für so eine architektonische Glanzleistung, da verzichtet man doch gerne auf Bildung.

     

    Die Stadt möcht' ich übrigens loben, habe noch niemanden kennen gelernt, der_die sich nicht in Leipzig verliebt hätte - aber ebenso ist die Quote der Mitstudierenden und Bekannten, die mit ihrer Uni zufrieden sind, quer durch alle Geisteswissenschaften bei Null.

     

    tl;dr: Zum Wohnen und Leben grandios, zum Studieren nicht zu empfehlen.

  • R
    Ralph

    Hier in Jena wären eher weniger Studenten wichtig; es platzt schon seit Jahren alles aus den Nähten. Keiner weiß, wohin mit den Studenten. Wohnungen? Gibt's nicht. Nicht für die Jenenser und auch nicht für die Studenten. Wer profitiert, ist allerdings die lokale Wirtschaft - sei's durch die Studentische "Futterkraft" (ie. Konsumbedarf) oder die generelle Ausnutzbarkeit derselben durch Praktika (besonders, wenn diese verpflichtend sind).

     

    Es sollte eigentlich nicht erwähnt werden müssen, daß dies insbesondere *nicht* im Interesse der Studenten und -interessierten ist. Keiner will vor dem Uni-Campus hocken und aus der Ferne dem Dozenten im Hörsaal zuhören (versuchen) müssen.

     

    Kurzum: man muß sich nicht wundern, wenn hierzulande die Studienbedingungen weniger als optimal sind. Von der Verkehrssituation fangen wir lieber gar nicht erst an.

  • B
    Branko

    Wenn jetzt noch sichergestellt wird, daß Firmenneugründungen an Hochschulstandorten eher Staatsgelder zur Verfügung gestellt werden als zur zwanghaften Arterhaltung der Dinosaurier, sehe ich in dieser Sitution ernsthaft die Chance von einem wahren und nachhaltigen "Aufbau Ost" und "Wiedervereinigung".