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Archiv-Artikel

Strom fließt jetzt unterirdisch

Bund und Niedersachsen einigen sich auf neues Erdkabelgesetz: Ein Fünftel der im Land geplanten Hochspannungsleitungen könnten unter Tage verlaufen. Skepsis bei der Opposition

VON KAI SCHÖNEBERG

Am gestrigen Freitag sah Gerd von Seggern „ein bisschen Licht“, wenn auch „die Bedenken nach wie vor schwerwiegend sind“. Seit Jahren kämpft der Mann von der Arbeitsgemeinschaft gegen Elektrosmog aus Ganderkesee bei Bremen gegen 60 Meter hohe Hochspannungsmasten vor seiner Haustür. Nun könnte ein Teil der 60 Kilometer langen Strom-Autobahn von Ganderkesee nach St. Hülfe bei Diepholz unterirdisch verlegt werden. Das senkt die elektromagnetische Strahlung, und weniger Strommasten stehen in der Landschaft herum.

Auf Teilabschnitten der Trasse im Nordwesten Niedersachens sei nun die „Tendenz zur Erdverkabelung“ absehbar, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) am Freitag. Er habe sich mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) darauf geeinigt, eine Lücke im Energiewirtschaftsgesetz zu nutzen, um Planfeststellungsverfahren für Hochspannungsleitungen auch für Erdkabel zu ermöglichen. Gabriel lobte von Berlin aus die „Vorreiterrolle“ Niedersachsens, das als erstes Bundesland Erdkabel möglich machen wolle. Und fügte hinzu, dass „ohne einen zügigen Netzausbau die klimaschutzpolitischen Ziele der Bundesregierung nicht zu erreichen“ seien. Wulff erklärte, bei solchen Fragen könne „nicht das Parteibuch dominieren“. Das Erdkabelgesetz solle im Dezember im Landtag beschlossen werden.

Bis zum Jahr 2015 sollen in Niedersachsen rund 400 Kilometer lange 380 Kilovolt-Leitungen verlegt werden, um Strom von neuen Offshore-Windrädern und Kohlekraftwerken in Richtung Süden zu transportieren. Als im Frühjahr Planungen für die 180 Kilometer lange Trasse zwischen Wahle im Landkreis Peine und dem nordhessischen Mecklar konkreter wurden, hatten sich vor Ort mehrere Bürgerinitiativen gegründet und gegen die Stromspargel protestiert.

Die Unruhe scheint gewirkt zu haben: 200 Meter entfernt von Häusern und 400 entfernt von Siedlungen können die Kabel künftig unterirdisch verlegt werden. Landschaftsschutzgebiete dürfen nach der neuen Regelung gar nicht mehr von Freileitungen zerschnitten werden. Wulff schätzte, dass ein Fünftel der Trassen unter die Erde verlegt werden könnten.

Bislang hatten Energieversorger wie Landesregierung betont, unterirdische Kabel seien unrealistisch, weil viel zu teuer und technisch nicht ausgereift. Der Energiekonzern Eon hatte errechnet, dass allein die Freileitungs-Variante von Wahle nach Mecklar rund 200 Millionen Euro kostet. Zudem gebe es bislang in Deutschland nur in Berlin-Mitte unterirdischen Starkstrom. Nun aber erklärte Wulff, er wolle der Technologie „eine echte Marktchance“ öffnen: In Italien, Dänemark und Spanien gebe es bereits Stromtrassen, die teilweise unter Tage liegen.

Zudem, betonte der Ministerpräsident, seien die Übertragungsverluste bei Untertage-Kabeln um die Hälfte geringer als die von Freileitungen. Die zusätzlichen Kosten pro Kilowattstunde für den Verbraucher lägen im Milli-Cent-Bereich, betonte Wulff, und das auch nur im „worst case“. Höhere Stromkosten seien nicht zu befürchten.

Doch nicht nur den Strommasten-Gegner von Seggern plagt weiterhin Bauchgrimmen: „Nach wie vor unzureichend“ nennt Hans-Joachim Janßen den Gesetzentwurf. „Die unterirdische Verkabelung ist lediglich auf wenigen Abschnitten vorgesehen“, sagt der Energie-Experte der Grünen. Er rechne nun mit einem „unerfreulichen Gezerre“ zwischen den Gemeinden über die Verlegung von Erdkabeln.