: Strömungswiderstand
■ Die Grünen und ihre DDR-Partner GASTKOMMENTAR
Mit Erfolg wurde auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Bayreuth zweierlei bewerkstelligt: die Begrüßung der neuen Bundesgenossen aus der DDR und das Zudecken der parteiinternen Querelen. Für die Gäste vom Bündnis90, die zwar etwas zurückgeblieben sein mögen, aber nicht blöde, war trotzdem erkennbar, welch zähe Grabenkämpfe die grünen StrömungskriegerInnen ausfechten. Gespeist von der sympathischen linken Romantik der grünen Seele und der souveränen Höhensicht der Bundestagsfraktion schlägt man/frau sich dogmatische Worthülsen um die Ohren. Dafür eignet sich jedes Thema, vom Erhalt des Birkhuhns über die deutsche Einheit bis zur Golfkrise.
Die innerparteilichen Konfrontationslinien betreffen uns, die Juniorpartner aus der DDR, bisher noch kaum. Wir sind noch zu sehr mit DDR-Geschichte und DDR-Realität beschäftigt. Unser Selbstbewußtsein kommt weniger aus rhetorischer Begabung als aus unserer Entwicklung. Nach der Konfrontation mit einem übermächtigen Gegner sind uns unsere Gemeinsamkeiten noch wichtiger als unsere Meinungsverschiedenheiten. Die bundesrepublikanischen Spielregeln sind uns noch fremd.
Politische Auseinandersetzungen öffentlich zu führen — sogar in Bayreuth — und keine Angst vor dem Erscheinungsbild hoffnungsloser Zerstrittenheit zu haben, ist gleichzeitig aber ein Vorzug der Grünen, der sie von allen anderen Parteien unterscheidet. Dieser Charme des latenten Chaos reizt uns zugegebenermaßen. Unterschiedliche politische Akzentuierungen auszutragen, Dissens auszuhalten, kann eine produktive Kraft bedeuten. Dazu bedarf es allerdings einer geistigen Beweglichkeit, die den Rückzug in utopische Nischen oder verbissene Phraseologien verhindert. Der Mangel an Offenheit scheint es zu sein, der die gegenwärtige Diskussion bei den Grünen belastet. Gestaltungsräume für alternative Politik — ein Thema in Bayreuth — sind ebesowenig durch Regierungsbeteiligungen ausgeschlossen wie an sie gebunden. Es gibt sie durchaus auch in der Opposition.
Ein anderes Thema in Bayreuth waren die Konsequenzen der deutschen Vereinigung. Auch wenn viel darüber gesprochen wurde: das Bewußtsein, daß das Ende der DDR auch das Ende der BRD bedeutet, ist bisher allenfalls oberflächlich vorhanden — nicht zuletzt wegen der westzentrierten Kanonisierungen in den Diskussionen der Grünen. Die neuen Länder scheinen von vielen als eine Art schwächlicher Verlängerung der Bundesrepublik begriffen zu werden. Es würde kaum verwundern, wenn die meisten noch immer dem berühmten Mißverständnis erliegen würden, die Asphaltwellen vor den DDR-Straßenkreuzungen stellten ein bewußtes Mittel zur Verkehrsberuhigung dar. Inhaltliche Auseinandersetzungen mit der so anderen DDR-Wirklichkeit finden kaum statt. Eher geht es darum, dieses zusätzliche Problem samt den DDR- Gruppen in die alten Politik-Klischees einzubauen. Unter der mit Öllachen Marke „Artikel23“ geglätteten Wasseroberfläche toben die Strömungen. Aber die Vereinnahmungsversuche durch diverse Flügel greifen noch nicht recht. Noch sind wir — und wollen es auch bleiben — linksgemäßigt aufgebrochene Ökofundamentalrealos... oder so.
Tatjana Böhm und Reinhard Weißhuhn
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