Streitgespräch über Schule und Online: "Kein Computer in der Grundschule!"
Killerspiele bringen Bildungsverlierer hervor, sagt Kriminologe Christian Pfeiffer. Die Web-2.0-Forscherin Ute Pannen hingegen fordert einen Laptop für jedes Kind.
taz: Frau Pannen, Herr Pfeiffer, alle Täter bei Schulmassakern haben Ego-Shooter gespielt, meistens exzessiv. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Killerspielen im Netz und dem Morden in der Realität?
Ute Pannen: Nein, es gibt keinen Zusammenhang zwischen Online-Gaming und Massakern. Das Internet ist Spiegel unserer Gesellschaft. Da passieren die gleichen Dinge wie in unserem Alltag, auf dem Schulhof, auf der Straße und, leider, auch beim Verbrechen.
Christian Pfeiffer: Wer regelmäßig solche Spiele spielt, der desensibilisiert sich gewissermaßen für das, was er anrichtet. Er stumpft seelisch ab. Seine Hemmungen, mögliche Tatfantasien umzusetzen, nehmen ab.
Das eine löst das andere aus?
Pfeiffer: Nein, man wird kein Amokläufer, weil man Killerspiele gespielt hat. Der Hass auf die Menschen, die man tötet, ist nicht im Netz, sondern im realen Leben entstanden.
Pannen: Kein seelisch stabiler Mensch steht am Tag nach so einem Spiel auf, um seine Mitschüler zu erschießen. Der normale Nutzer, der einmal pro Woche ein Spiel konsumiert, wird durch ein solches Spiel nicht ferngesteuert und nicht hypnotisiert.
Kinder und Jugendliche und das Web: Gibt es mehr Möglichkeiten zur Partizipation - oder gehen Kinder in den Traum- und Zap-Welten des Netzes verloren? Das wollten die "Neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte" und die taz wissen - und luden Ute Pannen und Christian Pfeiffer zum Streit darüber ein.
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UTE PANNEN, 32, ist Web-2.0-Expertin und Beraterin für Social-Media-Strategien. Sie begleitete den Web-2.0-Wahlkampf Barack Obamas in den USA als Visiting Scholar an der Columbia University in New York.
CHRISTIAN PFEIFFER, 67, ist medienwirksamer Computerkritiker und Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts an der Uni Hannover.
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Das Gespräch moderierten Tobias Konitzer, Mitarbeiter der "Frankfurter Hefte", und der taz-Redakteur Christian Füller.
Herr Pfeiffer, warum werden nicht alle Spieler im richtigen Leben zu Tätern?
Pfeiffer: Die Studien zeigen, dass ein gewaltverstärkender Effekt nur bei denen zu beobachten ist, die bereits gefährdet sind. Damit meine ich die geprügelten Jungs, die im Leben nicht erfolgreich sind, die schwach auf den Beinen sind und sich deswegen stark geben müssen. Diese Jungen wählen Spiele, die Abenteuer verheißen, in denen sie Kämpferrollen einnehmen. Für mich ist übrigens nicht die entscheidende Frage von Killerspielen, ob sie jemanden zur Waffe greifen lassen. Mich interessiert die säkulare Leistungskrise der Jungen.
Was meinen Sie damit?
Pfeiffer: Wir haben heute 30.000 weniger männliche Abiturienten als weibliche - obwohl es 1990 noch gleich viele waren. Von 100 Schulabbrechern sind 63 Prozent männlich und von den Sitzenbleibern 62 Prozent. Ursache dafür ist, dass die Jungs viel zu viel Zeit mit dem exzessiven Konsum von Games verplempern. Kurz gesagt: Killerspiele bringen nicht Barbaren hervor, sondern schlicht Bildungsverlierer.
Frau Pannen, Herr Pfeiffer, bereiten die Schulen Kinder auf diese virtuelle Welt verantwortungsvoll vor?
Pannen: Nein, in Schulen muss das Lernen mit Computern viel stärker integriert werden. Die Schüler müssen einen bewussteren Umgang mit allen Online-Medien lernen.
Pfeiffer: Ja, die Schulen haben hier ein großes Defizit. Die meisten Lehrer sind überhaupt nicht imstande, Kindern etwas zu den Computerwelten zu erklären - weil die davon viel mehr verstehen.
Pannen: Was man nicht den Lehrern vorwerfen kann, weil auch sie nicht darauf vorbereitet wurden. Selbst junge Lehrer haben keine Unterstützung innerhalb ihrer Ausbildung, den Umgang mit Internet und Social Media vernünftig zu lernen.
Die Jugendlichen sind online viel besser als die Lehrer.
Pfeiffer: Das ist ja das Problem. Von allein lernen Schüler keinen vernünftigen Umgang mit Computern. Fast 16 Prozent der 14- bis 16-jährigen Jungen sind täglich mit viereinhalb Stunden Computerspielen dabei, von den Mädchen aber nur 4 Prozent. Wenn man Wochenende und Ferien einbezieht, dann verbringen Jungen mehr Zeit zu Hause sitzend vor dem Bildschirm als in der Schule. In meinen Augen ist das eine kranke Welt - und eine krank machende.
Wie können Schule und Staat darauf reagieren?
Pfeiffer: Wir brauchen eine Ganztagsschule, die nicht nur ans Lesen und Schreiben, sondern auch an das Internet heranführt. Und eine Schule, die vor allem Lust auf Leben weckt: Sport treiben, Theater spielen, Musik, ganz allgemein Herausforderungen, die genauso spannend sind wie diese Spiele.
Pannen: Wir müssen mit dem Thema Internet und Schule ganz anders umgehen. Die "Enquetekommission für Internet und Digitale Gesellschaft" schlägt so etwas wie eine digitale Bildungsrevolution vor: Sie beginnt mit "One Laptop Per Child".
Pfeiffer: Je Kind ein Laptop?
Pannen: Ja.
Pfeiffer: Um Gottes willen. Jede Stunde Bildschirmkonsum im Kindergartenalter erhöht das Risiko von Hyperaktivität. Und verringert die Chance, das Leben mit anderen Kindern in direkter Interaktion zu erobern.
Pannen: Stopp! Kinder sind auch Schulkinder, Herr Pfeiffer. Kindsein endet doch nicht mit sechs Jahren. One laptop per child heißt ja auch Betreuung. Die Grundannahme ist, dass jeder Schüler einen mobilen Computer haben muss, um den Anforderungen unserer Gesellschaft künftig gerecht werden zu können.
Frau Pannen, Herr Pfeiffer, die Grundschule als der letzte Hort der analogen Welt. Wäre das in Ihren Augen ein Gewinn - oder ein Horrorszenario?
Pannen: Kein Gewinn: Grundschülern würden so wichtige Möglichkeiten des Lernens abgeschnitten.
Pfeiffer: Ich warne davor. Wer Kinder zu früh mit dem Bildschirm konfrontiert, der weckt erst die Lust am eigenen Gerät. In der Grundschule brauchen Kinder grundsätzlich keine Computer, sondern Natur.
Pannen: Nein, ab sechs Jahren sollte man mit dem Online-Lernen an Computern beginnen. Medienwissenschaftler empfehlen in Studien sogar, auch im Kindergarten den Laptop nicht vor den Kindern zu verstecken, sondern sie - genau wie man sie ans Fernsehen heranführt - in den verantwortlichen Umgang mit Computern einzuüben.
Pfeiffer: Entschuldigen Sie, diese Erkenntnisse stammen aus Studien, die die Industrie finanziert hat. All das, was sie an pädagogischen Träumereien erzählen - für Kinder im Grundschulalter ist das nicht mehr als eine vage Hoffnung. Kinder unter zehn Jahren können mit Computern nicht verantwortungsvoll umgehen, Frau Pannen.
Pannen: Sie tun so, als würde vom Laptop eine ansteckende Krankheit ausgehen. Wichtig ist, dass die Kinder gut begleitet ans Internet herangeführt werden. Wenn wir in einer Gesellschaft mit Mobilität und Interaktivität leben, dann brauchen wir eine digitale Bildungsrevolution.
Was soll das Ihrer Ansicht nach sein?
Pannen: Digitale Endgeräte wie Tablet-PC, Netbook oder sogenannte White Boards müssen ganz selbstverständlicher Teil des Unterrichts werden. Wir brauchen ein projektorientiertes Arbeiten mit Lernsoftware und multimedialen Angeboten. Nur so können wir Jugendliche auf die Herausforderungen vorbereiten, mit denen sie später als Erwachsene konfrontiert werden: Im Netz schnell und effizient recherchieren zu können. Die Lehrer bekommen dabei eine ganz neue Rolle: Ihr Job ist es nicht mehr, Wissen verbal weiter zu geben, sondern Rechercheberater der Kinder zu sein. Die Schüler setzen sich selbst ihre Lernziele, die Lehrer moderieren viel mehr.
Wollen Sie damit sagen, dass durch Online-Medien im Unterricht der ganze Bildungsbegriff verändert wird.
Pannen: Ja, die Form des Lernens wird sich grundsätzlich ändern: Es wird viel selbständiger. Medien wie das Smartphone mit Netzzugang und Vokabel-App werden selbstverständlich benutzt werden. Die Säulen für das Lernen der Zukunft sind interaktive, ortsunabhängige und communitybasierte Medien.
Pfeiffer: Ich gebe Frau Pannen recht. Das Problem ist, dass unsere Einrichtungen immer noch Paukanstalten sind, die per Frontalunterricht Wissen in den Kopf der Kinder stopfen wollen. Wir haben noch nicht begriffen, dass es heute stärker darauf ankommt, Kinder neugierig zu machen, selbst zu lernen und zu forschen. Aber wir dürfen unsere Schulen auch nicht zu einer Art Internetcafés machen.
Es wird gern vom kollaborativen Lernen gesprochen, was bedeutet dieser Begriff?
Pannen: Das ist eine ganz neue Lernerfahrung. Online-Medien geben uns neue Formen des gemeinsamen Denkens, Schreibens und Lernens. Zum Beispiel könne wir in einem Google-doc, Kroko-doc oder Etherpad gemeinsam schreiben - und dabei auch ganz viele soziale Fähigkeiten erlernen.
Was müssen Kinder in der Schule lernen, um sich in der virtuellen Welt zurechtzufinden: Schreibmaschine - oder Urteilskraft?
Pfeiffer: Natürlich kann man es nicht auf Schreibmaschine reduzieren, was Schüler lernen müssen. Sie müssen lernen, die Gefahren zu erkennen und einzuschätzen. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Chatpartner der 12-, 13-, 14-Jährigen gar nicht 14 sind - auch wenn sie so tun, als wären sie gleichaltrig. Pädophile nutzen das Internet.
Pannen: Kinder müssen meines Erachtens nicht tippen lernen. Das stammt doch aus einer anderen Zeit! Kinder müssen verstehen, wie viel Zeitmanagement, Selbstmotivation und Selbstdisziplin sie im Netz brauchen. Vor allem müssen sie lernen, was im Internet wahr ist.
Was fehlt den Schulen an Infrastruktur?
Pannen: Beinahe alles! Die Lehrerausbildung muss intensiviert werden. Zudem muss die Hardware stimmen. Es ist nicht Standard, dass in jedem Klassenraum ein Rechner steht. Wir stehen ganz am Anfang.
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