Streit um die Pisa-Interpretation: Faktisch nur im Mittelmaß
Die 15-jährigen Schüler in Deutschland stagnieren nun seit sechs Jahren in der Kernkompetenz Lesen. Doch Pisa-Koordinator Manfred Prenzel redet die Ergebnisse schön.
Die Wahrheit kommt meist scheibchenweise. Und die für die deutschen 15-jährigen Schüler beim internationalen Schulleistungstest Pisa sieht unangenehm aus. In der zentralen Kompetenz, dem Lesen, kommen sie kaum voran. Sie haben ihren Mittelwert zwar auf 495 Punkte steigern können, bleiben damit auch nach sechs Jahren unter der magischen 500-Punkte-Grenze. Das geht aus der Kurzfassung von Pisa 2006 hervor, die die Stuttgarter Zeitung in ihrer Samstagsausgabe veröffentlichte.
Umso überraschender ist, dass der nationale Pisa-Koordinator für Deutschland, Manfred Prenzel, "nachweisbare Verbesserungen" im Bemühen um mehr soziale Gerechtigkeit im Klassenzimmer feststellt. Der Forscher vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel will einen eindeutigen Trend entdecken. "Deutschland fällt positiv auf", wird Prenzel zitiert.
In der OECD ist man verwundert über eine solche Interpretation. "Wir werden das nicht mitmachen", sagte ein Sprecher des OECD der taz. Prenzel entdecke Entwicklungen, die es nicht gebe.
Am meisten ist man bei der OECD empört darüber, dass Prenzel dafür gesorgt hat, dass Veränderungen der sozialen Abhängigkeit von Schülerleistungen im deutschen Bericht kaum mehr ablesbar sind. Denn Prenzel habe den Sozialindex verändert. In der OECD wird der sogenannte ESCS verwendet, der die sozioökonomischen und kulturellen Ressourcen der Elternhäuser erfasst. Prenzel aber hat den Index gewechselt - was an sich schon als wissenschaftliche Todsünde gilt. Prenzel aber nutzt obendrein den sogenannten HISEI-Index, der als der weniger aussagekräftige Sozialmaßstab gilt.
"Wir sind nicht erfreut darüber", heißt es dazu vorsichtig in Paris in der Pisa-Arbeitsgruppe, deren Leiterin Karin Zimmer den deutschen Bericht am Dienstag offiziell mit vorstellen wird. In Prenzels eigenem Institut in Kiel ist man deutlicher - HISEI wird als der qualitativ schlechtere Index bewertet. "In einer Analyse zu sozialen Disparitäten der Bildungsbeteiligung lieferte der ESCS differenziertere Befunde als der HISEI", schreiben Prenzels Kollegen Timo Ehmke und Thilo Siegle.
Die Kritik in der OECD an Manfred Prenzel wird auch bei den Forschern geteilt, die vor ihm die nationalen Pisa-Berichte vorlegten. Jürgen Baumert, der Direktor des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, sprach stets von "funktionalen Analphabeten", um die Problemgruppe zu beschreiben, die Deutschlands Bildungssystem kennzeichnen: Das sind jene knapp 20 Prozent Schüler eines Jahrgangs, die nur im technischen Sinne lesen können. Dieser Wert hat sich seit Pisa 2000 kaum verbessert - aber Manfred Prenzel hat die Aufmerksamkeit von den Risikoschülern, indem er den Terminus "funktionale Analphabeten" nicht mehr verwendete, abgelenkt.
Dafür ließ Prenzel den sogenannten Schulformvergleich zu; das ist das Gegenüberstellen der Leistungswerte von Gymnasien, Real- und Hauptschulen. Baumert hatte es sich bei Pisa 2000 noch vertraglich zusichern lassen, "dass wissenschaftlich nicht vertretbare länderübergreifende Schulformvergleiche weder durchgeführt noch ermöglicht werden". In der Szene gilt diese ethisch fragwürdige Diskriminierung von Hauptschülern als der Sündenfall der deutschen Pisa-Forschung.
Der jüngste Gag aus der Prenzelschen Trickkiste war diese Meldung aus seinem Institut. In den USA würden 50 Dollar für die Testteilnahmen bezahlt, in den Niederlanden 10 Euro - das verzerre die Pisa-Ergebnisse möglicherweise zuungunsten Deutschlands, wurde im Spiegel geraunt. Dass man durch Prämien am ehesten Kinder zum Test bewegt, die das Gesamtergebnis drücken, fiel Manfred Prenzel gestern auf - er ließ eine solche Interpretation dementieren.
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