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Streit um Zahl der Auschwitz-Opfer

■ Polnische Historiker: weniger Ermordete / Heinz Galinski spricht von „Verhöhnung der Opfer“

Warschau (dpa) - Nach jüngsten Untersuchungen polnischen Historiker soll die Zahl der im NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau Ermordeten wahrscheinlich zwischen einer Million und 1,5 Millionen Menschen liegen. In Auschwitz sei inzwischen die Tafel mit der Zahl von vier Millionen Opfern entfernt worden, berichtete die Solidarnosc-Zeitung 'Gazeta Wyborcza‘ am Dienstag.

Der Vorsitzende der Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, kritisierte das Abbauen des Schildes, über das er bislang nicht informiert sei, als eine „Verhöhnung der Opfer“ und sprach von Zahlen-„Spekulationen“, an denen er sich grundsätzlich nicht beteilige, da sie nur der Relativierung der NS-Verbrechen dienen sollten. Für ihn sei es historisch erwiesen, daß in dem „schlimmsten Vernichtungshof der Welt“ vier Millionen Menschen umgekommen seien. Galinski ist selber ein Überlebender von Auschwitz.

Über die Zahl der im KZ Ermordeten hatte es nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedliche Schätzungen gegeben, die bis zu vier Millionen reichten. Wie die Politologin Angelika Schardt vom Institut für Zeitgeschichte in München auf Anfrage erklärte, gehe die Geschichtswissenschaft heute davon aus, daß mindesten eine Million Juden in Auschwitz -Birkenau getötet wurden. Der 1961 in Israel hingerichtete NS-Kriegsverbrecher und Organisator des Holocaust, Adolf Eichmann, hatte in seinem Prozeß von 2,5 Millionen Ermordeten in Auschwitz-Birkenau gesprochen. Diese Zahl sei jedoch nach den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft eindeutig zu hoch, sagte Schardt. Insgesamt seien während des Zweiten Weltkrieges zwischen 5,29 und sechs Millionen europäischer Juden von den Nazis ermordet worden, faßte Schardt den Stand der Forschung zusammen.

Die neuen polnischen historischen Studien führte der Leiter der geschichtlichen Abteilung des Auschwitz-Museums, Franciszek Piper. Er stützte sich dabei auf Angaben über die nummerierte Zahl der Gefangenen, die Korrespondenz über Transporte nach Auschwitz sowie statistische Angaben, die aus verschiedenen Gettos erhalten geblieben sind. Danach sind mindestens 1,3 Millionen Menschen in das Lager gebracht worden, davon 1,1 Millionen Juden, etwa 150.000 Polen, 23.000 „Zigeuner“ und 15.000 sowjetische Kriegsgefangene. Überlebt hätten 223.000 Gefangene. Somit dürfte die Zahl der nachweisbaren Opfer etwa 1,1 Millionen betragen, darunter 960.000 Juden, 70.000 bis 75.000 Polen, 21.000 „Zigeuner“ und 15.000 sowjetische Gefangene.

Piper betonte, daß diese Zahlen nicht vollständig seien, es dürften bis zu 1,5 Millionen Menschen in Auschwitz-Birkenau umgebracht worden sein. Genauere Informationen könnten aus der Lagerdokumentation hervorgehen, die aber von den Sowjets 1945 abtransportiert und bisher nicht zurückgegeben wurden. Wie 'Gazeta Wyborcza‘ schreibt, sollen die Untersuchungsergebnisse von Piper (1980 bis 1986) Anfang 1991 im Verlag des Museums und gleichzeitig im Institut Jad Vaschem in Jerusalem erscheinen. Chefredakteur von 'Gazeta Wyborcza‘ ist der Historiker Adam Michnik, der jüdischer Herkunft ist.

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