piwik no script img

Streit um VertriebenenzentrumSteinbachs Truppen

Revanchisten oder Friedensarbeiter? Der Streit um Erika Steinbach und das Vertriebenenzentrum findet kein Ende. Er speist sich aus weißhaarigen Hinterköpfen.

Immer im Gegenwind: Erika Steinbach. : ap

KYRITZ taz | Es ist ein seltsamer Refrain, den der Chor der Seniorenpflege Wusterhausen da anstimmt: "Ich zweifle oft daran", singen die rund 30 betagten Herrschaften in roten und schwarzen Jacketts, "dass die Welt uns wirklich lieben kann." Aber, so geht es vor dem Hintergrund von Geschirrgeklirre weiter: "Für Wunder ist's niemals zu spät." Die etwa 200 Vertriebenen im früheren Kantinensaal der Stärkefabrik im brandenburgischen Städtchen Kyritz mögen es glauben. Manche summen leise mit.

Der Auftritt des Seniorenchors ist einer der Höhepunkte des diesjährigen "Tages der Heimat". Geladen hat der Kreisverband Kyritz des Bundes der Vertriebenen (BdV). Gekommen sind die, die heute den Verband ausmachen: weißhaarige Männer und Frauen, die diszipliniert und etwas schick gemacht an langen Tischreihen, bedeckt mit weißen Tischdecken aus Papier, vor Tellern mit Blechkuchen sitzen. Zuvor hatte es vor dem Banner des BdV mit dem Spruchband "Wahrheit und Gerechtigkeit - Ein starkes Europa" zwei Reden gegeben, eine Ehrung der Verstorbenen und die Auszeichnung verdienter Mitglieder mit der Ehrennadel in Silber. Vor diesen Rentnern fürchten sich Berlin und Warschau. Das ist die Basis, vielleicht: die Truppen der BdV-Chefin Erika Steinbach in ihrem Kampf gegen Außenminister Guido Westerwelle um eine Kandidatur im Stiftungsrat des geplanten "Zentrums gegen Vertreibungen" (s. Kasten).

Dieser Kampf findet hier in Kyritz viel Beifall. "Die gehört da hin", sagt einer von zwei Vertriebenen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Die beiden alten Brüder aus Wusterhausen stammen aus Zülichau, etwa 80 Kilometer östlich von Frankfurt (Oder) gelegen. Sie flohen 1945 nach Brandenburg. "Der Russe war hinter uns und hat uns alles genommen", erzählen sie knapp. Ebenso prägnant ist ihr Urteil zur Causa Steinbach. Die Steinbach wollten "die", so sagen sie unbestimmt, nicht haben, "weil sie Angst haben, dass sie was für uns rausholt".

Bund der Vertriebenen

Die Personalie: Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach ist die Chefin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und derzeit dafür verantwortlich, dass sich nicht nur die neue Berliner Koalition, sondern auch Deutschland und Polen streiten. Es geht um ihre Entsendung in den dreizehnköpfigen Stiftungsrat des geplanten "Zentrums gegen Vertreibungen" im Deutschlandhaus am Askanischen Platz in Berlin-Kreuzberg. Weil Erika Steinbach in Polen eine Hassfigur ist, kündigt Außenminister Guido Westerwelle (FDP) an, ein Ratsmitglied Steinbach im Kabinett abzulehnen, während die Union in alter Treue zum BdV an ihr festhält.

Die Vertreibung: Von den etwa zwölf Millionen Vertriebenen, die die Flucht überlebten, lebten zunächst etwa vier Millionen in der DDR, der Rest in Westdeutschland. Anfang der Sechzigerjahre war jeder fünfte Bundesbürger ein Vertriebener. Viele waren traumatisiert. Das Psychologische Institut in Hamburg hat 1999 mehr als 200 einst vertriebene Frauen befragt. Rund 80 Prozent von ihnen hatten gehungert, 70 Prozent waren durch Beschuss in Lebensgefahr geraten, die Hälfte ist vergewaltigt worden. Fast zwei Drittel der Frauen litten auch mehr als 50 Jahre nach dem Krieg noch an traumabezogenen Symptomen.

Doppelt betrogen fühlten sich die Flüchtlinge, die in der DDR lebten. Sie mussten jahrzehntelang ihr Leid verschweigen: "Du wurdest ja befreit, da konnte man nicht vertrieben sein", sagt einer der Brüder bitter. Warm dagegen schildern sie die Fahrt nach Polen in das Dorf ihrer Kindheit: "Wir wurden ganz freundlich empfangen - als ob wir die besten Freunde wären."

Revanchisten oder Brückenbauer - die Vertriebenen waren immer beides. Etwa 14 Millionen Deutsche sind nach dem von Deutschland angefachten Weltkrieg aus dem Osten geflohen. Rund zwei Millionen kam dabei um. Viele Vertriebene sind traumatisierte Menschen.

In Northeim bei Hannover gibt es einen Raum, der ihnen etwas Linderung verspricht. Es ist die "Heimatstube" der Schlesier aus dem Raum Neustadt. Bundesweit gibt es derzeit noch 62 Heimatstuben der Schlesier - es sind fast rührende Refugien der Erinnerung und Melancholie. Die zwei Räumchen erinnern an die alte Bundesrepublik der Siebzigerjahre: Stahltüren, tiefe Decken und blaue Auslegware auf dem Boden prägen die Stimmung. Es ist eine krude Mischung aus Kunst und Kitsch, Flohmarkt und Feinsinn.

Viele Eiserne Kreuze

Links hinten ist eine Ecke mit katholischen Kreuzen, Fahnen und Heiligenbildern, rechts eine liebevoll gemachte Pappmaché-Ansicht vom Neustadt des Jahres 1626, hier eine Wand mit alten Ansichten der Heimat, dort zwei blöd dreinschauende Schaufensterfiguren in schwarzer Schlesiertracht und allerlei Krimskrams. Etwas irritierend sind die vielen Eisernen Kreuze in Vitrinen und auf Fotos - aber, erklärt Werner Hesse eilig: Neustadt war eben eine Garnisonsstadt.

Hesse, ein agiler Herr von 79 Jahren, war früher Stadtdirektor Northeims. Der inoffizielle Stadthistoriker hat die Sache der Vertriebenen zu seiner eigenen gemacht. Ungefragt hat er vier andere Männer in die Heimatstube geladen, die damit etwas zu tun haben. Mit Glanz in den Augen berichtet Hesse von der "Patenschaft", die die Stadt Northeim 1952 für ihre vielen Neustädter Flüchtlinge übernahm. Das war recht üblich. Außergewöhnlich war, dass nach langen Mühen mit dem polnischen Prudnik, dem früheren Neustadt, 1990 eine Städtepartnerschaft vereinbart wurde. Northeim war die erste Stadt der Bundesrepublik, die sowohl eine Patenschaft für Vertriebene wie eine Partnerschaft mit deren ehemaliger Heimatstadt einging.

Der Chef der Kulturverwaltung Harald März schwärmt von der "Freundschaft", die seitdem mit den Prudnikern entstanden sei. Rund 150 Begegnungen gab es zwischen beiden Städten bisher, auf allen Ebenen, von den Stadtoberen über die Feuerwehren bis zu den Sportvereinen. "Das hat nichts mit Revanchismus zu tun", sagt März, aktive Friedensarbeit sei das. Für ihr Stadtmuseum hätten die Prudniker gern eine paar Exponate aus der Heimatstube, allen voran die Pappmaché-Ansicht Neustadts - aber leider, meint Hesse mit einem Augenzwinkern, sei sie viel zu filigran für einen Transport. Northeim ist ein fast kitschiges Beispiel dafür, wie aus Leid und Vertreibung auch Freude und Freundschaft entstehen kann.

Am Tisch in der Heimatstube sitzt auch Horst Ortelt. Der 72-Jährige wurde als Neunjähriger 1946 aus einem Dorf bei Neustadt vertrieben, aber seine Erzählungen von damals sind nüchtern, kennen keinen Hass. Er berichtet von dem eher frostigen Empfang in der neuen Heimat: "Man war nicht bei allen gut aufgenommen", sagt er vorsichtig, "es gab schon kleine Reibereien." Die Jugendgruppe der Kirchengemeinde war hilfreich. "Wir haben versucht, uns zu behaupten." In Northeim hat Ortelt geheiratet, hier hat er gebaut, hier sind seine Kinder aufgewachsen. "Ich fühle mich hier zu Huse", sagt er. Nur "im Hinterkopf" sei noch der Gedanke an die alte Heimat. Wenn alle Vertriebenen so wären wie Ortelt, gäbe es das Problem Steinbach wahrscheinlich gar nicht.

Nähe zu Rechtsextremen?

Aber nicht alle Vertriebenen sind so wie Ortelt. Da gibt es etwa den Landeschef der Schlesischen Jugend (SJ) in Thüringen, Fabian Rimbach. Der 26-Jährige ist seit kurzem auch Bundesvorsitzender der SJ. Antifa-Kreise werfen ihm eine Nähe zu rechtsextremen Gruppen vor. Die Linke-Landtagsabgeordnete Martina Renner, die in Thüringen als Rechtsextremismus-Expertin gilt, meint: "In der SJ Thüringen tummeln sich Neonazis." Dazu gehörten Funktionäre der verbotenen HDJ und der NPD. Rimbach aber streitet solche Kontakte ab. Verblüffend auch sein Satz, es sei ja nicht nötig, dass ausgerechnet Steinbach im umkämpften Berliner Stiftungsrat vertreten sei.

Die nordrhein-westfälische Landeschefin der SJ ist Renate Sappelt. Sie ist 47 Jahre alt ("Wir haben auch Jüngere") und distanziert sich von Rimbach und seinen Kameraden: Zu seiner Wahl sei sie nicht gegangen, und "persönlich halte ich von diesen ganzen Leuten nicht sehr viel". Sappelt war früher einmal Mitglied des "Bundes für Gesamtdeutschland", der die deutschen Ostgebiete als "unverzichtbare Teile Gesamtdeutschlands" definierte und die "Rückführung" all dieser Gebiete nach Deutschland forderte. Wenn man sie zum Fall Steinbach hört, versteht man, warum so viele Polen Pickel kriegen, sobald dieser Name fällt. Übrigens gibt es einen Wikipedia-Eintrag zur SJ auf Polnisch - auf Deutsch gibt es ihn nicht.

Zurück nach Kyritz zum Jahrestreffen der Vertriebenen. Jesko von Samson, ein smarter Jungpolitiker von der CDU, hat gesprochen, er ist Mitarbeiter von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) und war früher im Büro Steinbachs tätig. Auch er betonte, dass der Platz im Stiftungsrat seiner früheren Chefin zustehe. Niemand anderem! Horst Schnick, der BdV-Kreischef, setzt sich zu den vertriebenen Brüdern und erinnert sich an die "wunderschönen Fahrten" nach Polen, in die alte Heimat. Immer wieder spricht er von "Jacek", der seit Jahren im Auftrag der Stadtverwaltung von Gorzow Slaski, früher Landsberg, die Reisen organisiere. "Horst", habe Jacek neulich in akzentfreiem Deutsch am Telefon berichtet, "ich habe das Programm für die Reise im nächsten Jahr schon zusammen." Früher wurden die Reisen der Kyritzer Vertriebenen vom Bundesministerium des Innern gesponsert. Vergangenes Jahr fuhr man auf eigene Kosten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen