Streit um Spaniens Nationalhymne: "Viva España!" fürs Vaterland
Die Spanier sollen endlich ihre Hymne singen können. Aber die vorgeschlagenen Strophen sorgen für Ärger.
MADRID taz Was singen, wenn die spanischen Sportler gewinnen? Die Frage war bisher nur schwer zu beantworten. Zwar hat das Land eine der ältesten Hymnen Europas, doch hat sie keinen Text. Zumindest keinen offiziellen. Ein jetzt zu Ende gegangener Wettbewerb vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK), bei dem Hobbypoeten und Profis gerufen waren zu dichten, soll Abhilfe schaffen.
Die aus Autoren, Professoren und Sportlern zusammengesetzte Jury wählte einen Text mit dem patriotischen Titel "Viva España!" aus. Der Gewinner ist ein 52-jähriger Arbeitsloser aus Südspanien. Doch offiziell ist das neue Lied wieder nicht. Denn diesen Titel kann dem Text nur einer Verleihen: das spanische Parlament. Das olympische Komitee will deshalb eine halbe Million Unterschriften sammeln. Diese sind nötig, damit ein Gesetzentwurf als Volksinitiative den Abgeordneten zur Abstimmung unterbreitet werden kann. Ob die Mehrheit im Parlament für einen Text ist, der die Geschichte Spaniens lobt, ist zweifelhaft. Zwar sind die Konservativen für eine gesungene Hymne, aber die Nationalisten aus den verschiedenen Regionen sind dagegen und die mit ihrer Unterstützung in Minderheit regierenden Sozialisten haben sich bisher noch nicht eindeutig geäußert.
Das Verhalten der Volksvertreter zeigt die ganze Krux mit Spanien, seiner Hymne und nationalen Symbolen. Für die Nationalisten im Baskenland, Katalonien und Galicien steht die Nationalmelodie und die rot-gelb-rote Fahne trotz einer Verfassung, die ihnen seit 1978 weitgehende Autonomierechte einräumt - für zentralstaatliche Gängelung. Die Linke des Landes fühlt sich beim "Nino, nino" - wie sie die Nationalhymne abschätzig nennen - an die Diktatur von Francisco Franco erinnert. Denn in der von ihm gestürzten demokratisch verfassten Republik erklang ein anderes Lied. "El Himno de Riego" - geschrieben zu Ehren eines Oberst der spanischen Armee, der die ersten demokratischen Regierungen im 19. Jahrhundert unterstützte. Bis heute ist ihr "Libertad, Libertad, Libertad" auf Demonstrationen und Festen zu hören.
7.000 Texte wurden beim Wettbewerb eingereicht. Darunter viele nicht so ernst gemeinte. Die bekannten Radiokomiker Gomaespuma reihten kurzerhand allerlei Zutaten der viel gepriesenen mediterranen Diät, von Schinken über Chorizo bis zum Thunfisch aneinander. Wieder andere gruben ganz einfach den inoffiziellen, aber doch oft gesungen Text aus der Franco-Zeit hervor und vertonten ihn neu. Viel von Arbeit, Ehre und Ruhm ist da die Rede. Als Gegenstück tauchte auch ein Text wieder auf, den Kinder in der Diktatur gern sangen. Darin wäscht Ariel das Hinterteil des Generalísimo nicht nur sauber, sondern rein. Das originellste Stück gelang dem nur wenig bekannten Musiker Rafa Corega. Als Rasta gekleidet lobt er in seinem Text ironisch alle Klischees, die es über Südeuropäer gibt. Er singt von Siestas, Sauf- und Kiffgelagen.
In der Bevölkerung ist der neue "Viva España"-Text längst Grund zum Spott. "Wenn wir einmal was gewinnen, dann ist immer noch Zeit die Hymne zu lernen", so eine weit verbreitete Meinung.
Leser*innenkommentare
bernhard wagner
Gast
Für Nationalhymnen gibt es aus kosmopolitischer Perspektive - höchstens - eine Rettung: Marcel Duchamp. Arthur Danto hat es später für die Kunsttheorie ausformuliert: Ein Werk wird erst durch jeweilige Interpretation zu dem, was es jeweils ist. Die Interpretation kann sich dabei durchaus bewusst gegen vorherige Deutungen richten. Tradition und Absichten von AutorInnen etc. sind natürlich nicht einfach zu ignorieren, aber sie sollten nicht zu einem Gefängnis werden, sondern auch darüber hinaus können neue Deutungs- und damit auch Erlebnis-/ Erfahrungsmöglichkeiten ge-/erfunden werden. Das gilt für 'klassische Kunstwerke' ebenso wie für Nationalhymnen und andere Dinge. Das Potential mancher 'Werke' geht weit über alte Deutungsmuster hinaus, auch über die der 'AutorInnen' (von Musik, Literatur, bildender Kunst u.s.w. bis hin zu eher 'banalen' Gegenständen, vgl. Duchamp).