Streit um Mehrarbeit für Lehrer: Protest mit allen Mitteln

Im Streit um die geplante Mehrarbeit für Gymnasiallehrer in Niedersachsen mahnt die Kultusministerin Sachlichkeit an.

Instrumentalisiert? Schüler protestieren gegen mehr Wochenstunden für ihre Lehrer. Bild: dpa

HANNOVER taz | Der Konflikt um die von Niedersachsens rot-grüner Landesregierung geplante Mehrarbeit für Gymnasiallehrer spitzt sich zu. 120 der 200 Gymnasien landesweit haben angekündigt, aus Protest keine Aktivitäten mehr außerhalb des Unterrichts wie etwa Klassenfahrten anzubieten. Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) fordert jetzt, „die Auseinandersetzung auf einer Sachebene auszutragen und nicht auf dem Rücken der Schüler“.

Im Interview mit der Neuen Presse erinnert Heiligenstadt die Lehrer daran, dass in der Schule das „Neutralitätsgebot“ gilt: „Sie dürfen ihre eigenen berufsständischen Interessen nicht in den Unterricht einbringen.“ Von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden will Rot-Grün die Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer erhöhen. Zugleich soll eine ab August 2014 vorgesehene Arbeitszeitverkürzung im Alter ausgesetzt werden. Protestiert wird nicht nur mit Klassenfahrten-Boykotts. Im November überreichten die Lehrergewerkschaft GEW und der Philologenverband der Ministerin eine Petition mit 11.000 Unterschriften. Letzte Woche demonstrierten in Hannover über 5.000 Schüler für „Lehrer ohne Burn-out“.

Hinweise, dass sich bei dieser Protestwelle nicht immer an das schulische Neutralitätsgebot gehalten wird, gehen nicht nur bei Niedersachsens Kultusministerium ein. Dort beschweren sich Eltern über Postkarten, die im Unterricht von Lehrern verteilt worden sein sollen – mit der Aufforderung, Schüler, Eltern und Nachbarn sollten unterschreiben. Auch der Landesschülerrat berichtet von Unterschriftenlisten, die im Unterricht kursieren.

Laut Beamtenrecht dürfen Lehrer nicht mehr als 40 Stunden pro Woche im Jahresschnitt und nicht mehr als zehn am Tag arbeiten.

An Niedersachsens Gymnasien sind derzeit noch 23,5 Wochenstunden vorgesehen- bundesweit ist das die geringste Unterrichtsverpflichtung, wie die Landesregierung gern anführt.

De facto liegt die Wochenarbeitszeit von Gymnasiallehrern in Niedersachsen laut Philologenverband aber mit Unterrichtsvor- und -nachbereitungen, Korrekturen, Wandertagen oder Klassenfahrten bei 54,5 Wochenstunden.

„Aus Angst vor schlechten Noten oder sozialem Druck in der Klasse unterschreiben oft auch die, die eigentlich nicht wollen“, sagt Helge Feußahrens vom Schülerrat. Zudem würden Schüler einseitig informiert: „Die Lehrer stellen es dar, als hätte die Landesregierung die Klassenfahrten weggenommen, dabei streichen sie die Fahrten.“

GEW-Landeschef Eberhardt Brandt nennt die Instrumentalisierungs-Vorwürfe eine Ausrede. „Die Schüler machen sich ihren eigenen Kopf“, sagt Brandt. Vielmehr müsse Rot-Grün zur Kenntnis nehmen, dass die Solidarität mit den Lehrern bei Eltern und Schülern unerwartet groß ist. „Wer Fehler korrigiert, zeigt auch Stärke“, findet er.

Ein erstes Signal in diese Richtung kommt von den Grünen. Die haben just am Dienstag einen Landesvorstands-Beschluss zur Entlastung der Lehrkräfte vorgelegt. Der grüne Besänftigungsvorschlag: Lehrer sollten sich Klassenfahrten besser anrechnen lassen können.

Das SPD-Kultusministerium mag dagegen von den Plänen nicht abrücken. Auf Nachfrage verweist es auf ein geplantes 420 Millionen Euro schweres Bildungspaket, das der Landtag kommende Woche mit dem Haushalt 2014 verabschieden soll. Die vorgesehenen Verbesserungen des Ganztagsschul- und Fortbildungsangebots kämen auch den Gymnasien zugute.

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