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Streit um Kindstötung"Mittel der Familienplanung"

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer führt Kindstötungen auf das DDR-Erbe zurück. Grünen-Chefin Claudia Roth fordert deswegen seinen Rücktritt.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer sieht Kindstötung als Folge der DDR-Abtreibungspolitik Bild: dpa

BERLIN taz Nach den Äußerungen von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) zu den Ursachen von Kindstötungen in Ostdeutschland haben Politiker von SPD und Grünen Konsequenzen verlangt. "Ich fordere den Rücktritt von Wolfgang Böhmer", sagte Grünen-Chefin Claudia Roth. Böhmers Amtsvorgänger Reinhard Höppner (SPD) sagte: "Wer so über Menschen redet, für die er mit verantwortlich ist, kann seine Aufgabe als Ministerpräsident nicht mehr wahrnehmen. Ich bin entsetzt."

Böhmer hatte die Häufung von Babymorden in Ostdeutschland auf das Erbe der DDR zurückgeführt. Es gebe eine "leichtfertigere Einstellung zu werdendem Leben in den neuen Ländern", sagte Böhmer dem Focus. Kindstötung sei scheinbar "für manche ein Mittel der Familienplanung". Diese Einstellung hält er für eine Folge der DDR-Abtreibungspolitik. Frauen konnten in der DDR nach 1972 bis zur zwölften Woche ohne Begründung die Schwangerschaft abbrechen. "Das wirkt bis heute nach", sagte Böhmer.

Seine Äußerungen empören Politiker von SPD und Grünen. "Wolfgang Böhmer verunglimpft pauschal alle ostdeutschen Frauen und stellt Abtreibung auf eine Stufe mit der Ermordung von Kindern", sagte Roth der taz. Damit mache er Menschen zu doppelt Verdächtigten: "Frau zu sein und in der DDR gelebt zu haben reicht ihm als Begründung für Misshandlung und Mord. Das ist absolut nicht hinnehmbar."

Höppner kritisierte, die Kindstötungen auf eine von den Müttern übernommene DDR-Mentalität zurückzuführen, sei auch sachlich falsch. In den aktuellen Fällen seien die Mütter meist sehr jung gewesen. "Diese Frauen waren zur Zeit der Wende erst wenige Jahre alt. Da wirkt nicht die DDR-Mentalität nach, die kommen mit den heutigen Verhältnissen nicht klar."

Vor knapp drei Jahren war Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) mit Ursachenforschung zu Kindstötungen in Ostdeutschland in die Kritik geraten. Nach einer neunfachen Kindstötung in Brandenburg hatte er gesagt, für die Gewaltbereitschaft und Verwahrlosung im Osten seien die "Proletarisierung" und "zwangsweise Kollektivierung" unter dem SED-Regime verantwortlich.

Damals hatte auch Böhmer zu den Kritikern von Schönbohm gehört - nun gerät er selbst unter Beschuss. Auf Nachfrage erklärte seine Regierungssprecherin Monika Zimmermann, man verstehe die Aufregung nicht. Böhmer bleibe bei seinen Äußerungen. WOS

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12 Kommentare

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  • DW
    Dieter Werner

    "(...) stellt Abtreibung auf eine Stufe mit der Ermordung von Kindern", sagte Roth

     

    Ja, das ist doch das Gleiche.

     

    Sowohl nach einer Abtreibung als auch nach einer Ermordung IST ein Kind TOT.

  • AZ
    anke zöckel

    Ich hab den Mann im Originalton reden gehört und ich nehme an, Wolfgang Böhmer hält Kindstötungen nicht nur für ein DDR-spezifisches Mittel zur Familienplanung, sondern auch für die logische Folge der Urlaubsplanung im untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat. Vermutlich handelt es sich bei dieser Sicht auf die Dinge um eine durch die einschlägigen deutschen Gesellschaften versicherte Berufskrankheit. Der Mann fühlt sich in der Rolle des Ministerpräsidenten nun einmal abschließend und allumfassend zuständig für "sein" Bundesland. Wenn also unter seiner Regentschaft (der Regentschaft eines makellosen Super-Christen) Babymorde passieren, dann kann die Ursache dafür keinesfalls im Hier und Jetzt oder in der Person der Mörderin, sondern nur ganz, ganz weit in der politischen Vergangenheit liegen. Vor allem, weil von dieser Vergangenheit jedermann (zumindest jeder seiner potentiellen Wähler) mit Sicherheit wissen muss, dass sie schon aus Prinzip lückenlos mörderisch gewesen ist.

     

    Aber vielleicht (man sollte ja nicht öffentlich spekulieren, nur: ich hab nicht angefangen damit) bekämpft Herr Böhmer mit seinen markigen Worten auch bloß ein ganz individuelles Trauma. Offenbar ist es für ihn schon vor 1989 nicht ganz einfach gewesen, berufliches Erfolgsstreben, geltendes Recht und eine persönliche moralische Zielstellung rückstandslos miteinander zu vereinbaren. Das, könnte man meinen, wäre dann freilich nicht beruflich bedingt, sondern ein Charakterzug.

  • N
    Nils

    Schwangerschaftsabbrüche waren tatsächlich in der DDR ein Mittel der Familienplanung und viele Frauen vertrugen die starken Pillen nicht und liessen es "drauf ankommen". Das hat jedoch nichts mit den idividuellen Fällen in einer häufig gleichen sozialen Schicht in Ostdeutschland zu tun. Das weiss Böhmer und wer seine Aussagen verkürzt wieder gibt, beschneidet sein richtiges Argument. Während Böhmer als Geburtshelfer von 30.000 Kindern weiss wovon er spricht, sollte Claudia Roth lieber - wie immer - den Mund halten. Aber das ist wohl ein frommer Wusch, gegenüber einer Frau, die sovieles (siehe ihr Amt als Menschenrechtsbeauftragte unter Fischer) verbockt und sowenig geleisten, und davon sowenig wahr haben will.

  • HR
    h. rohwer

    vom nachrichtenticker informiert, hatte ich in meiner familie meinen geharnischten protest zum ausdruck gebracht. die 20 jaehrige tochter meinte bzgl des alters der taeterinnen, das die vom mp boehmer angefuehrte auswirkung sich bei den damals viel zu jungen menschen haette gar nicht einstellen koennen.

    fazit: wer so unsaegliches aeussert gehoert abgesaegt.

    durch ihren artikel, und den darin ausgefuehrten meinungen einiger nicht im gleichen fahrwasser schwimmender politiker, fuehle ich mich bestaetigt. hoffentlich erkennen die menschen endlich einmal, wie verachtend persoenlichkeiten der c partei mit ihnen umgehen, und sind bei der naechsten wahl entsprechend konsequent, egal, ob mp boehmer gegangen ist oder nicht.

  • DW
    Dieter Werner

    "(...) stellt Abtreibung auf eine Stufe mit der Ermordung von Kindern", sagte Roth

     

    Ja, das ist doch das Gleiche.

     

    Sowohl nach einer Abtreibung als auch nach einer Ermordung IST ein Kind TOT.

  • AZ
    anke zöckel

    Ich hab den Mann im Originalton reden gehört und ich nehme an, Wolfgang Böhmer hält Kindstötungen nicht nur für ein DDR-spezifisches Mittel zur Familienplanung, sondern auch für die logische Folge der Urlaubsplanung im untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat. Vermutlich handelt es sich bei dieser Sicht auf die Dinge um eine durch die einschlägigen deutschen Gesellschaften versicherte Berufskrankheit. Der Mann fühlt sich in der Rolle des Ministerpräsidenten nun einmal abschließend und allumfassend zuständig für "sein" Bundesland. Wenn also unter seiner Regentschaft (der Regentschaft eines makellosen Super-Christen) Babymorde passieren, dann kann die Ursache dafür keinesfalls im Hier und Jetzt oder in der Person der Mörderin, sondern nur ganz, ganz weit in der politischen Vergangenheit liegen. Vor allem, weil von dieser Vergangenheit jedermann (zumindest jeder seiner potentiellen Wähler) mit Sicherheit wissen muss, dass sie schon aus Prinzip lückenlos mörderisch gewesen ist.

     

    Aber vielleicht (man sollte ja nicht öffentlich spekulieren, nur: ich hab nicht angefangen damit) bekämpft Herr Böhmer mit seinen markigen Worten auch bloß ein ganz individuelles Trauma. Offenbar ist es für ihn schon vor 1989 nicht ganz einfach gewesen, berufliches Erfolgsstreben, geltendes Recht und eine persönliche moralische Zielstellung rückstandslos miteinander zu vereinbaren. Das, könnte man meinen, wäre dann freilich nicht beruflich bedingt, sondern ein Charakterzug.

  • N
    Nils

    Schwangerschaftsabbrüche waren tatsächlich in der DDR ein Mittel der Familienplanung und viele Frauen vertrugen die starken Pillen nicht und liessen es "drauf ankommen". Das hat jedoch nichts mit den idividuellen Fällen in einer häufig gleichen sozialen Schicht in Ostdeutschland zu tun. Das weiss Böhmer und wer seine Aussagen verkürzt wieder gibt, beschneidet sein richtiges Argument. Während Böhmer als Geburtshelfer von 30.000 Kindern weiss wovon er spricht, sollte Claudia Roth lieber - wie immer - den Mund halten. Aber das ist wohl ein frommer Wusch, gegenüber einer Frau, die sovieles (siehe ihr Amt als Menschenrechtsbeauftragte unter Fischer) verbockt und sowenig geleisten, und davon sowenig wahr haben will.

  • HR
    h. rohwer

    vom nachrichtenticker informiert, hatte ich in meiner familie meinen geharnischten protest zum ausdruck gebracht. die 20 jaehrige tochter meinte bzgl des alters der taeterinnen, das die vom mp boehmer angefuehrte auswirkung sich bei den damals viel zu jungen menschen haette gar nicht einstellen koennen.

    fazit: wer so unsaegliches aeussert gehoert abgesaegt.

    durch ihren artikel, und den darin ausgefuehrten meinungen einiger nicht im gleichen fahrwasser schwimmender politiker, fuehle ich mich bestaetigt. hoffentlich erkennen die menschen endlich einmal, wie verachtend persoenlichkeiten der c partei mit ihnen umgehen, und sind bei der naechsten wahl entsprechend konsequent, egal, ob mp boehmer gegangen ist oder nicht.

  • DW
    Dieter Werner

    "(...) stellt Abtreibung auf eine Stufe mit der Ermordung von Kindern", sagte Roth

     

    Ja, das ist doch das Gleiche.

     

    Sowohl nach einer Abtreibung als auch nach einer Ermordung IST ein Kind TOT.

  • AZ
    anke zöckel

    Ich hab den Mann im Originalton reden gehört und ich nehme an, Wolfgang Böhmer hält Kindstötungen nicht nur für ein DDR-spezifisches Mittel zur Familienplanung, sondern auch für die logische Folge der Urlaubsplanung im untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat. Vermutlich handelt es sich bei dieser Sicht auf die Dinge um eine durch die einschlägigen deutschen Gesellschaften versicherte Berufskrankheit. Der Mann fühlt sich in der Rolle des Ministerpräsidenten nun einmal abschließend und allumfassend zuständig für "sein" Bundesland. Wenn also unter seiner Regentschaft (der Regentschaft eines makellosen Super-Christen) Babymorde passieren, dann kann die Ursache dafür keinesfalls im Hier und Jetzt oder in der Person der Mörderin, sondern nur ganz, ganz weit in der politischen Vergangenheit liegen. Vor allem, weil von dieser Vergangenheit jedermann (zumindest jeder seiner potentiellen Wähler) mit Sicherheit wissen muss, dass sie schon aus Prinzip lückenlos mörderisch gewesen ist.

     

    Aber vielleicht (man sollte ja nicht öffentlich spekulieren, nur: ich hab nicht angefangen damit) bekämpft Herr Böhmer mit seinen markigen Worten auch bloß ein ganz individuelles Trauma. Offenbar ist es für ihn schon vor 1989 nicht ganz einfach gewesen, berufliches Erfolgsstreben, geltendes Recht und eine persönliche moralische Zielstellung rückstandslos miteinander zu vereinbaren. Das, könnte man meinen, wäre dann freilich nicht beruflich bedingt, sondern ein Charakterzug.

  • N
    Nils

    Schwangerschaftsabbrüche waren tatsächlich in der DDR ein Mittel der Familienplanung und viele Frauen vertrugen die starken Pillen nicht und liessen es "drauf ankommen". Das hat jedoch nichts mit den idividuellen Fällen in einer häufig gleichen sozialen Schicht in Ostdeutschland zu tun. Das weiss Böhmer und wer seine Aussagen verkürzt wieder gibt, beschneidet sein richtiges Argument. Während Böhmer als Geburtshelfer von 30.000 Kindern weiss wovon er spricht, sollte Claudia Roth lieber - wie immer - den Mund halten. Aber das ist wohl ein frommer Wusch, gegenüber einer Frau, die sovieles (siehe ihr Amt als Menschenrechtsbeauftragte unter Fischer) verbockt und sowenig geleisten, und davon sowenig wahr haben will.

  • HR
    h. rohwer

    vom nachrichtenticker informiert, hatte ich in meiner familie meinen geharnischten protest zum ausdruck gebracht. die 20 jaehrige tochter meinte bzgl des alters der taeterinnen, das die vom mp boehmer angefuehrte auswirkung sich bei den damals viel zu jungen menschen haette gar nicht einstellen koennen.

    fazit: wer so unsaegliches aeussert gehoert abgesaegt.

    durch ihren artikel, und den darin ausgefuehrten meinungen einiger nicht im gleichen fahrwasser schwimmender politiker, fuehle ich mich bestaetigt. hoffentlich erkennen die menschen endlich einmal, wie verachtend persoenlichkeiten der c partei mit ihnen umgehen, und sind bei der naechsten wahl entsprechend konsequent, egal, ob mp boehmer gegangen ist oder nicht.