Streit um Fußballfrauen: Die Frauen sind weg, es lebe der Dino
2011 jubelte Deutschland über die Frauen-Fußball-WM im eigenen Land. Kaum ein Jahr später zieht der Hamburger SV sein Frauen-Team aus der Bundesliga zurück.
HAMBURG taz | Es war eine bescheidende Saison für die Männer-Fußballer des HSV. Nur knapp sicherte sich der Klub den Klassenerhalt, 14-mal verlor das Team von Trainer Thorsten Fink. Am Ende waren alle froh, dass es vorbei war – und dass der Bundesliga-„Dino“ in der nächsten Saison wieder Erstligaluft atmen darf.
Das würden die Frauen des HSV auch gerne, doch sie müssen die Erste Liga verlassen – obwohl sie den Klassenerhalt deutlich souveräner meisterten als die Männer. Der Klub hat entschieden, dass die Mannschaft zu teuer sei – und zieht sie aus der Bundesliga zurück.
„Der Vorstand bedauert es sehr“, sagt der HSV-Vorstandsvorsitzende Carl-Edgar Jarchow, der wirtschaftliche Gründe für das Aus anführt: Da man einen ausgeglichenen Haushalt garantieren wolle, müssten „Zuschüsse in Vereinsbereiche, die sich nicht eigenständig finanzieren können, reduziert werden“.
Das Damoklesschwert hing schon länger über dem Frauen-Team. „Es war ja bekannt, dass das eine Option sein könnte, Geld zu sparen. Aber wenn es dann passiert, trifft es einen doch“, sagt Christian Lenz, der Leiter des HSV-Frauenfußballs der taz. Und auch Abwehrspielerin Carolin Simon ist niedergeschlagen: „Man hatte noch Hoffnung und ist jetzt natürlich enttäuscht.“ Verteidigerin Nina Brüggemann reagierte wütend. „Ich bin enttäuscht und wütend“, sagte sie der taz. Den jungen Spielerinnen im Norden werde eine Perspektive genommen.
Auch der Präsident des Hamburger Fußball-Verbands, Dirk Fischer, findet deutliche Worte. „Das ist ein massiver Rückschlag für die Entwicklung des Frauenfußballs“, sagt Fischer, der die Verantwortung für den Rückzug im Management vermutet. „Man wird den Eindruck nicht los, dass die Frauen die Zeche zahlen müssen für wirtschaftliche und finanzielle Fehler bei der Bundesliga-Mannschaft der Herren.“
Nach Informationen des Hamburger Abendblatts soll der Start in die nächste Bundesligasaison an 100.000 fehlenden Euro gescheitert sein. Bei einem Gesamtetat von 750.000 Euro sicher eine Menge Geld, doch angesichts der Millionengehälter, die im Männer-Bereich bezahlt werden, wirkt dieser Betrag überschaubar. Aber Sponsoren ließen sich einfach nicht finden. „Wir haben wirklich alles versucht“, beteuert HSV-Trainer Achim Feifel.
Im HSV wird es zwar auch weiterhin Frauenfußball geben, doch dieser wird nur in der Regionalliga stattfinden. Wie viele aus dem aktuellen Kader dann noch spielen werden, wissen derzeit weder Trainer Feifel noch Frauen-Leiter Lenz, der ankündigt, mit allen Spielerinnen Gespräche zu führen.Verteidigerin Simon sagt: „Das ist ein Riesensprung. Man müsste das ganze Leben umstellen.“
Nach der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland 2011 hatten sich viele Vereine und auch die Spielerinnen einen Popularitätsschub erhofft. Bei einem Spitzenteam wie dem 1. FFC Frankfurt mag das eingetroffen sein: Knapp 2.000 Zuschauer kamen im Schnitt zu den Partien in dieser Saison. Beim HSV sieht es anders aus: 410 Zuschauer in Jena, 230 im Heimspiel gegen Essen, 203 gegen den SC Freiburg.
Bereits im vergangenen Jahr hatte der HSV den Etat des ersten Teams um ein Drittel gekürzt und die zweite Mannschaft der Frauen abgemeldet. Nun hat es auch die erste Mannschaft getroffen. Nationalspielerin und Ex-HSV-Profi Kim Kulig, die im vergangenen Jahr nach Frankfurt wechselte, hat dazu eine klare Meinung: „Schwache Leistung HSV! Das geht gar nicht! Peinlich...“, twitterte sie.
Auch in Fan-Foren wird der Rückzug der Frauen-Bundesligamannschaft heiß diskutiert: Die Damen seien ein „Opferlamm für die totale Inkompetenz auf höherer Ebene in Sachen Finanzen“, ist dort zu lesen. Es sei „ein Desaster und mal wieder eine peinliche Außendarstellung“. Ein Nutzer schreibt gar: „Ich schäme mich für diesen Verein.“
So weit geht die 19-jährige Simon nicht. Doch es klingt bitter, wenn sie sagt: „Die müssen wissen, wo sie investieren wollen.“
Investiert hat der Klub in einen neuen Torwart für das Männer-Profiteam. René Adler wechselt von Bayer Leverkusen an die Elbe und soll angeblich 2,7 Millionen Euro verdienen. „Ich habe mich zum HSV bekannt und will dabei sein, wenn hier etwas Neues aufgebaut wird“, sagte der Keeper der Bild. Für die Frauen bedeutet das „Neue“ ab dem Sommer Regionalliga.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los