Streit um Bleiberecht in Österreich: "Inkompetent und unkorrekt"
Österreichs Grüne fordern ein neues Asylrecht - man solle sich zu seiner Eigenschaft als Zuwandererland bekennen. Die Regierungsparteien ignorieren einen Handlungsbedarf.
WIEN taz "Schluß mit dem Fremdenrechtspfusch - Bleiberecht für Integrierte". Unter diesem Titel fand am Mittwoch im österreichischen Nationalrat eine von den Grünen einberufene aktuelle Stunde statt. Die Grünen laufen gegen die Asyl- und Fremdengesetzgebung schon lange Sturm. Zuletzt fühlten sie sich durch ein TV-Interview von Verfassungsgerichtshofspräsident Karl Korinek bestätigt. Der Höchstrichter hatte die Regierung zu einer dringenden Reparatur des Fremdenrechts aufgerufen. Er verstehe nicht, warum man, obwohl die Fehler des Gesetzes offenkundig seien, nichts unternehme.
Ende Oktober stellte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) klar, dass es nach der Europäischen Menschenrechtskonvention unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht für Ausländer gebe, auch wenn ihr Asylantrag abgewiesen werde. Korinek zitierte den Fall einer 80jährigen schwer kranken Türkin, die abgeschoben werden sollte, obwohl ihre Kinder, auf deren Pflege sie angewiesen ist, legal im Land leben. Gegen einen sechsmonatigen Säuglings erging ein Abschiebebescheid, während das Asylverfahren gegen die Mutter noch anhängig ist. Der VfGH sei gegenwärtig mit mehreren Passagen der umstrittenen Gesetze befasst und werde wahrscheinlich Teile aufheben müssen. Daher sei eine Reform dringend geboten.
Grünen-Chef Alexander Van der Bellen plädierte in seiner Einführungsrede dafür, Österreich solle sich zu seiner Eigenschaft als Zuwanderungsland bekennen. Seine Partei trete für ein gesetzlich verankertes Bleiberecht gut integrierter und unbescholtener Ausländer ohne gültigen Aufenthaltstitel ein. Die Regierungsparteien reagierten erwartungsgemäß. Innenminister Günther Platter, ÖVP, ging auf die konkrete Kritik gar nicht ein und lobte das 2005 beschlossene verschärfte Fremdenrecht als "absolutes Muß". Es sei damit gelungen, die Anzahl der Asylanträge binnen eines Jahres um 40 Prozent zu drosseln. Die eben im Ministerrat beschlossene Gründung eines Asylgerichts mit aufgestocktem Personal werde dafür sorgen, dass die noch anhängigen 33.560 Altfälle bis 2010 abgebaut werden.
Auch SPÖ-Sicherheitssprecher Rudolf Parnigoni erkennt keinen Handlungsbedarf. Er fand die Aussagen des Höchstrichters "inkompetent und unkorrekt". Im übrigen hätte seine Partei 2005 nicht weniger als 50 verfassungswidrige Bestimmungen aus dem Erstentwurf von ÖVP und BZÖ herausverhandelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!