Streit über Awacs-Einsatz: "Routine" neben Kriegsschauplatz
Rot-Grün schickte vor dem Irakkrieg Flugzeuge in die Türkei, ohne Zustimmung des Bundestags. Die FDP klagte. Muss das Parlament Einsätze mandatieren?
"Wenn die Verwicklung deutscher Soldaten in einen militärischen Konflikt droht, darf die Bundeswehr nur mit Zustimmung des Bundestags eingesetzt werden", forderte gestern der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht muss jetzt entscheiden, wie weit der Parlamentsvorbehalt für Militäreinsätze tatsächlich reicht. Auch die Bundesregierung hofft auf mehr Rechtssicherheit.
Die Klage der FDP bezieht sich auf den Irakkrieg im Jahr 2003. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte zwar eine Beteiligung der Bundeswehr am US-geführten Einmarsch in den Irak ausgeschlossen, aber die Erfüllung von Nato-Pflichten zugesagt. So wurden vor Kriegsbeginn vier Awacs-Flugzeuge zur Luftaufklärung im Nato-Land Türkei stationiert, das sich vor Vergeltungsschlägen Saddam Husseins fürchtete. Beteiligt waren 38 deutsche Soldaten und neun Zivilangestellte.
Der Bundestag wurde dabei nicht gefragt, obwohl das Bundesverfassungsgericht 1994 für alle Armee-Einsätze im Ausland ein Parlamentsmandat gefordert hatte. Offizielle Begründung Schröders: Es handele sich bei den Awacs-Flügen über der Türkei nicht um einen "bewaffneten" Einsatz. Tatsächlich hatte der Kanzler wohl vor allem Angst vor peinlichen Gegenstimmen aus dem rot-grünen Lager.
Die FDP war zwar für den Einsatz, sah jedoch die Rechte des Parlaments ausgehöhlt und klagte. Das Verfassungsgericht lehnte damals aber einen Eilbeschluss ab, weil die Sache zu kompliziert erschien. Gestern wurde nun ausführlich über die Klage verhandelt, die grundsätzliche Bedeutung hat. Denn der Bundestag hat zwar 2005 die Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen per Gesetz geregelt, aber nicht, wann ein "bewaffneter Einsatz" der Bundeswehr vorliegt.
Für die Bundesregierung ist die Sache klar: "Wenn es um bloße Abschreckung geht, liegt noch kein Einsatz vor", erklärte gestern ihr Vertreter, der Rechtsprofessor Joachim Wieland. Die Entsendung von Awacs-Luftaufklärern in die Türkei sei eine bloße "Show of Force" gewesen, ein Zeigen der Waffen. Auch für den damaligen Awacs-Kommandeur, den deutschen General Johann-Georg Dora, waren die 108 Awacs-Flüge bis Mitte April "Routine", wie er den Richtern erklärte. Die Flugzeuge hätten keinerlei Feuerleitfunktion im benachbarten Irak übernommen.
Darum ging es der FDP aber auch nicht. Sie hält schon die Luftaufklärung direkt neben dem Kriegsschauplatz für einen zustimmungspflichten Militäreinsatz. "Wenn die Armee in Konfliktnähe agiert, ist das doch keine Routine mehr", argumentierte ihr Rechtsvertreter Michael Bothe, der schon 1994 den Parlamentsvorbehalt erstritten hatte.
Und wieder stehen seine Chancen gut. Der federführende Richter Udo Di Fabio, ein Konservativer, ließ erkennen, dass auch er den Einsatz nicht als Routine einstuft. Immerhin habe die Türkei mit ihrer Bitte um Awacs-Schutz zum ersten Mal in der Nato-Geschichte ein Konsultationsverferfahren ausgelöst. Di Fabio sah hier durchaus eine "Nähe zum heißen Krieg".
Regierungsvertreter Wieland warnte das Gericht jedoch vor Mehrarbeit: "Wenn Sie den Parlamentsvorbehalt auf solche Fälle ausweiten, dann wird die Opposition bald ständig das Verfassungsgericht anrufen." Die Richter des Zweiten Senats werden ihr Urteil in einigen Monaten verkünden. Auswirkungen auf den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr sind jedoch nicht zu erwarten. Hier war die Zustimmung des Bundestags eindeutig erforderlich und wurde auch schon mehrfach erteilt.
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