Streit der Woche: Laufen deutsche Jugendschützer Amok?
Hardliner finden, man müsse die Jugend vor sich selbst schützen: Solariumverbot, Alkopop-Stop und jetzt noch Online-Schutz. Übertreiben es die Jugendschützer?
Schon wieder ein neues Gesetz, das der Jugend helfen soll: Am 10. Juni unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Bundesländer einen neuen Gesetzestext, am 1. Januar 2011 soll der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verpflichtend in Kraft treten. Danach müssen alle Internetbetreiber in Deutschland entweder eine Alterskennzeichnung wie bei Filmen einführen oder sich an die übliche Regelung der Sendezeiten halten – Jugendgefährdendes also erst im Mitternachtsprogramm.
Das sogenannte Online-Labeling ist nur eine von vielen Verschärfungen im Musik-, Medien- und Konsumbereich, die im Namen des Jugendschutzes eingeführt wurden. Seit vergangenem Jahr dürfen Jugendliche unter 18 nicht mehr ins Solarium, Alkopops wurden zum Schutz vor Missbrauch teurer. Nach jedem Alkohol- oder Gewaltexzess eines Jugendlichen rufen Politiker und Elternverbände nach noch mehr Strafe und Kontrolle: Generelles Alkoholverbot unter 18 oder noch besser unter 21 wie in den USA, fordern sie, ein Verbot der sogenannten "Killerspiele" und schärfere Zensur von frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Rap-Songs stehen immer wieder zur Debatte.
Man muss die Jugend vor sich selbst schützen, sagen die Einen. Die Inhalte in Musik und Internet würden immer aggressiver, Alkoholkonsum und Gewaltausbrüche durch Jugendliche immer entgrenzter. Die Jugendlichen "brauchen Schutz vor Bildern, Texten oder Filmen, die sie ängstigen oder verstören können", begründet etwa die Kommission für Jugendmedienschutz die Forderungen nach strengeren Regeln.
Lesen Sie die Antworten von Experten, Prominenten und taz.de-Lesern zum Streit der Woche in der sonntaz vom 3../4. Juli - erhältlich zusammen mit der taz am Kiosk oder direkt an Ihrem Briefkasten. Wollen Sie mit dabei sein? Dann schicken Sie uns Ihren Kommentar an streit@taz.de. Mehr dazu im Kasten rechts oben
Unseren Jugendlichen wird noch der letzte Spaß genommen, beklagen dagegen Kritiker. Häufig werde die Debatte um verschärften Jugendschutz vor dem Hintergrund von Einzelereignissen geführt, aufgeladen mit Emotionen.
Dabei machten Verbote die umstrittenen Inhalte eher attraktiver und könnten Kompetenz im Umgang mit Medien oder Rauschmitteln ohnehin nicht ersetzen. Kritiker sehen gerade bei der Reglementierung des Internetkonsums die Gefahr, dass unter dem Deckmantel des Jugendschutzes zensiert und die Informationsfreiheit eingeschränkt wird.
Dahinter steht die Frage, ob wir unseren Jugendlichen zu wenig oder zu viel zutrauen. Und ob die immer wieder aufflammenden Debatten nicht letztlich Paranoia schüren.
Was meinen Sie: Laufen deutsche Jugendschützer Amok?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?