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Streit der Woche„Zwei oder drei Legislaturperioden reichen“

Wer ein politisches Amt übernimmt, sollte es bis zum Ende hin ausfüllen, meint Grünenchefin Claudia Roth. Rücktritt zeugt von Einsicht, meint hingegen Historiker Michael Philipp.

Wieder Zeit fürs Private: die Eheleute Köhler. Bild: imago

Politiker müssen auch in schwierigen Zeiten die übernommene Verantwortung ernst nehmen, fordert die Grüne Bundesparteivorsitzende Claudia Roth in der sonntaz. „Wenn man für ein demokratisches Amt kandidiert und es annimmt, sollte man es auch bis zum Ende hin ordentlich ausfüllen“, schreibt sie im Streit der Woche.

Ohne eine gewisse Konstanz verliere die Politik an Kompetenz und Glaubwürdigkeit, sagt Roth und kritisiert weiter: „Man könnte den Eindruck gewinnen, dass eine ganze Generation bei der CDU gerade vor allem damit beschäftigt ist, die eigenen Ämter wieder loszuwerden.“

Am vergangen Sonntag trat der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zurück. Er ist der sechste CDU-Spitzenpolitiker, der innerhalb eines Jahres sein Spitzenamt frühzeitig verlässt. Zuletzt waren der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch und frühere Bundespräsident Horst Köhler überraschend von ihren Ämtern zurückgetreten. Dies alles hat zu einer generellen öffentlichen Debatte über das Aufgeben von Ämtern und den Rückzug aus der Politik geführt.

Gerade der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler sei ein klares Zeichen von Schwäche gewesen, findet Gerd Langguth, Politologe und Köhler-Biograph. „Das Frustpotential wurde so groß, dass er als jemand, der als früherer hochrangiger Beamter nie die Erfahrung der persönlichen Kritik machen musste, seine Aufgabe sogar „mit sofortiger Wirkung“ hinschmiss“, schreibt Langguth in der sonntaz.

Die Begründung seines Rücktritts ließe zudem viele Fragezeichen offen, meint der CDU-Experte. Historiker Michael Philipp hat ein Buch über politische Rücktritte verfasst und sieht in ihnen eher ein Zeichen von Einsicht. „Rücktritte sind ein wichtiges Instrument der politischen Kultur, sie müssen nur richtig angewendet werden“, schreibt Philipp. Zu einem gelungenen Rücktritt gehöre eine überzeugende Begründung und der passende Moment.

Politikwissenschaftler Peter Lösche fordert Verständnis für Politiker, die von ihrem Amt zurücktreten: „Politiker sind zuweilen physisch und psychisch ausgelaugt.“ Die politische Tätigkeit werde komplizierter und Parteien seien heute kein Kraftquell mehr, schreibt Lösche im Streit der Woche. Daher würden zwei oder drei Legislaturperioden in hohen Ämtern reichen.

Im Streit der Woche äußern sich zudem SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und taz.de-Leser Berthold Blank.

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8 Kommentare

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  • JK
    Juergen K

    Den Einen wird Hartz gekürzt,

     

    Den Anderen Nicht.

    Die bekommen Blumen, Urkunde und Zapfenstreich.

     

    Und trotzdem:

    Hoffe, die Fluktuation fängt erst an.

     

    Systemweit!

     

    Die "Es muss alles so bleiben wie es ist" Hohlköpfe

    muessen weg!

  • J
    JAMH

    Claudia Roth hat völlig recht.

    Natürlich gibt es Situationen, in denen einE PolitikerIn zurücktreten können muß.

    Aber grundsätzlich gibt es eine Pflicht dem Wähler gegenüber, eine Legislaturperiode, für die man kandidiert hat, bis zu Ende auszufüllen.

    Der Rücktritt Kochs grenzt ja bereits an Wählerbetrug, denn wer weiß ob der Nachfolger (Bouffier - wer?)gegen Ypsilanti rüssiert hätte. Der bekannte Name verschafft also der Partei den Wahlsieg und tritt dann zurück.

    Genausowenig überzeugen die anderen aktuellen Rücktritte.

    Schön, daß der Steuerzahler den lebenslangen "Ehrensold" für Köhler und Frau bezahlen darf, aber leider nicht die kostenfreie Nutzung der Dienstvilla für Ihn und Gattin, lebenslang. Schade.

    Und das alles, nachdem er sich nach Kräften an die zweite Amtszeit herangedrängt hatte.

    Es tut mir leid, aber weder belebt solch Verhalten die Demokratie, noch vermag ich hier gesteigertes Pflichtgefühl erkennen.

  • J
    JML

    Tja, Frau Roth erklärt damit wohl, dass wir unsere Hoffnungen auf ihren vorzeitigen Abgang begraben können.

  • S
    Streberin

    Wieder werden die Dinge nicht beim Namen genannt. von Beust beispielsweise wollte eigentlich im März 2010 zurücktreten. Das war der frühestmögliche Zeitpunkt, um nahtlos Ruhestandsgeld kassieren zu können. Dann hatte er es auf Drängen der Grünen verschoben, um ganz fünf Monate. Tatsächlich glaube ich, dass er aus "Einsicht" seinen Job gemacht und dann geschmissen hat: aus Einsicht in die wunderbaren finanziellen Möglichkeiten, ein Privatier mit 55 zu werden.

  • BB
    big bull

    Wer gehen will soll gehen.

     

    Wer nicht die notwendige Qualifikation besitzt um

    eine Arbeit mit dem dafür notwendigem Wissen

    ausdauernd und korrekt auszuführen,ist für diese Arbeit nicht geeignet.

     

    Wer nicht den notwendigen Respekt und die notwendige

    Achtung vor einer Arbeit gehabt hat, hat hat diese Arbeit nie geschätzt.

  • B
    Beobachter

    Interessant,jetzt gehört ein Rücktritt zur politischen Kultur! Da haben wir aber bei Oskar Lafontains Rücktritt ganz andere Sachen und Diffamierungen gehört.

    Ich halte Publizistik und Journalistik für äußerst lernfähig aber auch für verlogen.

  • NF
    ned flanders

    -Rotationsprinzip

    -Basisdemoratie gegen Verfilzung

    -gegen Berufpolitiker

     

    Das waren damals die Gründe für mich, die Grünen für die Zukunft zu halten. 25 Jahre ist das her. Seitdem hat sich das Ganze ins Gegenteil gewendet.

    Berufpolitiker an der Spitze der Partei und im Parlament, die Spitzenreiter in den Bundestags-Flugmeilen sind. Natürlich müssen sie viel fliegen, denn sie sind wichtig. Startbahn West ade.

    Erst nach einer erneuten Lektüre von Orwells Fabel "Animal Farm" letze Woche (die habe ich das letze mal in meiner Schulzeit gelesen) ist mir richtig klar geworden, was hier passiert ist. Die Schweine haben die Rollen derer eingenommen, die sie früher bekämpft haben. (Ich spreche hier natürlich vom Roman...)

  • S
    Sebastian

    Seh ich auch so. Deshalb hoffe ich auch das Merkel und Westerwelle bis zum Ende durchhalten.