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Streit der Woche"Diplomatie ist so nicht mehr möglich"

Diplomaten halten Vertraulichkeit für unverzichtbar, für Politiker ist der Fall jedoch vor allem peinlich. Der Frieden ist durch die jüngste Wikileaks-Veröffentlichung jedenfalls nicht gefährdet.

Wurde in den Wikileaks-Veröffentlichungen mit dem Attribut "arrogant" versehen. Peinlich, ja. Schlimm? Nein. Bild: dpa

Knapp eine Woche nach der Veröffentlichung von 251 287 Cables US-amerikanischer Botschaften ist die internationale Diplomatie nicht tot, Krieg ist deswegen schon gar nicht ausgebrochen. Über die Folgen solcher Indiskretionen und Datenlecks wird unterdessen weiter diskutiert. Im aktuellen sonntaz-Streit diskutieren Journalisten, Außenexperten und Diplomaten über Nutzen und Gefahren von Transparenz. Kann Wahrheit den Frieden gefährden? Das ist die Frage, die hinter der Diskussion steht.

Während Journalisten Wikileaks als neue und demokratische Datenquelle feiern, warnen andere vor dem Verlust der Privatsphäre. Ein großer Teil der Deutschen, nämlich 65 Prozent, ist laut ARD-Deutschlandtrend der Ansicht, dass solche Dokumente auch weiterhin geheim bleiben sollten. 53 Prozent finden es sogar ganz grundsätzlich nicht gut, dass es eine solche Plattform gibt.

Der sonntaz-Streit spiegelt diese Haltung nicht wieder. Ganz grundsätzlich begrüßen auch Kritiker der Veröffentlichung, dass Wikileaks sich für mehr Transparenz einsetzt. So erklärt der Friedensforscher Michael Brzoska, warum auch Länder wie Iran und China von solchen Informationen profitieren können. Gleichzeitig warnt er aber davor, die Geheimhaltung ganz aufzugeben. „Gelangen Positionen aus vertraulichen diplomatischen Gesprächen an die Öffentlichkeit, sind die Diplomaten festgelegt und haben keinen Verhandlungsspielraum mehr“, ist Brzoska überzeugt.

Der Journalist Peter Scholl-Latour geht sogar noch weiter, er sagt, Diplomatie sei unter solchen Bedingungen nicht mehr möglich: „Wer wird denn nun noch offen mit Diplomaten sprechen wollen?“ Er sieht das Vertrauen zerstört, das für Friedensverhandlungen absolut notwendig sei. Fatale Folgen hätte es etwa gehabt, hätte es solche Indiskretionen während der Kuba-Krise gegeben, ist Scholl-Latour überzeugt. Angst macht ihm aber vor allem, dass es heute „nur noch Einzelpersonen braucht, um solch riesige Mengen geheimer Daten an die Öffentlichkeit zu bringen.“ Dennoch seien deutsche Politiker diesmal vergleichsweise gut weggekommen. Für „ein paar orientalische Potentaten“ sei die Sache deutlich peinlicher, der Frieden sei jedoch auch im Nahen Osten nicht konkret gefährdet.

Bild: taz

Den ganzen Streit der Woche und viele andere Texte erscheinen in der sonntaz vom 4./5. November 2010. Ab sofort mit noch mehr Seiten, mehr Reportagen, Interviews und neuen Formaten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.

Ähnlich sieht es die ehemalige israelische Sonderbotschafterin Melody Sucharewicz. Nachdem durch die Cables die „kollektive Angst vor Ahmadinedschads radikalislamischem Imperialismus“ geoutet wurde, müsse die internationale Gemeinschaft zwangsläufig effektiver gegen das Mullah-Regime vorgehen, sagt sie. Für Sucharewicz ist klar: „Nicht die Wahrheit gefährdet den Weltfrieden, sondern Fanatiker, die nach der Bombe streben!“ Außerdem stritten in dieser Woche der frühere US-Diplomat John Kornblum, Sonia Seymour-Mikich, die das ARD-Politmagazin Monitor leite, der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich und der taz.de-Nutzer David Hamann über die Verstrickung von Wahrheit und Weltfrieden.

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10 Kommentare

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  • JG
    julia gacond

    Schon erstaunlich, dass die Veröffentlichung der spöttischen Gesprächen zwischen Diplomaten viel mehr in Bewegung bringt, als die Fakten von Kriegsverbrechen.

    Es ist recht amüsant zu lesen, wie die Politiker mal ihr Fett wegkriegen.

    Und wie können sie jetzt noch von Vertrauen zur Diplomatie sprechen?? Natürlich haben wir kein Vertrauen mehr. Das heisst nicht, das WikiLeaks schuld daran ist. Das bedeutet schlicht weg, das unsere Diplomatie nicht funktioniert.

     

    Es wird Veränderungen geben, es MÜSSEN sich viele Dinge ändern.

     

    WikiLeaks schreibt Geschichte, und wir können bestimmen, wie das Ganze ausgeht..

  • CA
    Christian Alexander Tietgen

    Ich finde es vor allem peinlich, dass Wikileaks so irrelevanten Informationen veröffentlicht...

  • R
    Raventhird

    Korrektur zum Artikel: Veröffentlicht wurden bisher nur ein paar Hundert (genauer: 821) der insgesamt 251 287 Cables, die Diskussion wird uns also noch ein bisschen beschäftigen. Falls derweilen die USA keinen Weg finden, Wikileaks komplett stillzulegen, sie sind ja mit der Hilfe von Paypal und Amazon leider auf dem besten Weg dazu.

  • R
    raphael

    meines erachtens erübrigt sich der stoßpunkt der diskussion unter folgendem einfach nach zu vollziehendem gesichtspunkt: republik sein heißt, öffentliche politik zu machen. der zustand vor wikileaks war sehr viel nicht öffentliche politik. der zustand nach wikileaks ist etwas mehr öffentliche politik. assange bemüht sich einen mißstand aufzuheben.

    die aussage "diplomatie sei nun nicht mehr möglich", heißt nur, schlechte diplomatie ist nicht mehr möglich und das ist auch gut so; denn wir brauchen gute diplomatie, sprich ehrliche, öffentliche, republikanische diplomatie.

  • UM
    uli moll

    Diplomatie/Vertraulichkeit setzt lediglich voraus, dass man einen anständigen Umgang mit Daten lernt und einhält.

    Dass viele Leute aber sowas von keine Ahnung haben,was Netzsachen angeht, und geradezu dazu einladen, "gehackt" zu werden, ist heutzutage schlicht unverantwortlich. Es wäre wünschenswert, dass den Leuten in entsprechenden Positionen mit diesem "Unfall" endlich mal klar wird, was Datenschutz ist und welchen Stellenwert er hat - vielleicht denken die dann mal nach. Und schaffen es, auch den Normalbürger vor der Ausspähung zu schützen.

     

    (Aber nee, klar: Dass meine Daten von Hinz und Kunz gesehen und genutzt werden, das ist denen ja egal. Weil ihr Klientel damit Geld macht)

     

    Wie entsetzlich blöde muss man sein, "Vertrauliches" unverschlüsselt zu senden und zu lagern? Wer stellt diese Leute ein, die "psst, nicht weitererzählen" für ausreichend halten? Wo ist anständige Weiterbildung fürs Personal?

     

    Alles zu teuer? Dann: Selber schuld, meine Herren!

    Willkommen im Zeitalter der Pferdekutsche ... (ach so? Internet? Gott, geht die Entwicklung schnell ...)

  • MM
    mit Majo

    "Ein großer Teil der Deutschen, nämlich 65 Prozent, ist laut ARD-Deutschlandtrend der Ansicht, dass solche Dokumente auch weiterhin geheim bleiben sollten..." na klar der beängstigende Ordnungssinn und die Obrigkeitshörigkeit, haben die Deutschen durch ihre Geschichte fest verinnerlicht. Hier läßts sich gut regieren, egal mit welchen Mitteln und wofür. Hauptsache Ordnung. Wen wundert das ? In Frankreich oder Spanien oder in jedem anderen EU Land läuft das anders, wissen wir doch.

  • G
    gaertner

    Ich finde es gut, dass Ihre Tageszeitung im Gegensatz zu so vielen anderen den "ARD-DeutschlandTrend" als direkte Quelle inFragestellt. Nirgendwo ist die Repräsentativität dieser Umfrage sichergestellt, geschweigedenn eine Methodologie auch nur annähernd beschrieben. Meiner Ansicht nach ist solch eine Quelle allerdings nicht einmal ihre Erwähnung wert, alles andere ist Meinungsmache.

  • FB
    Friedrich B

    Ja, die Wahrheit gefährdet den Frieden, genau...

    Soweit ist unsere Politik ja schon lange...

    Ok, es ist schon peinlich genug, dass angesichts der Kriegsverbrechen, die aufgedeckt wurden, die Beleidigungen der deutschen Politiker überhaupt ERWÄHNT wurden.

    Das ist der wahre moderne Rassismus- und zwar der europäische!

    Die Beleidigung unserer Politiker ist uns wichtiger als Kriegsverbrechen irgendwo anders- ein Alptraum!

     

    Oder schockt uns die "Wahrheit" über die Kriegsverbrechen nur deswegen nicht, weil wir es alle schon wussten? Umso schlimmer...

    Deshalb will ich mich mal dem eigentlichen Knackpunkt der Veröffentlichungen widmen- den Kriegsverbrechen.

    Das wir das Gefühl haben, dass uns Wahrheit schaden könnte, liegt (1.) an unserer Faulheit (Oh, das könnte ja Konsequenzen haben, ach das wird mir jetzt zu kompliziert...).

    Und (2.) liegt es daran, dass wir schon lange, hier und in Amerika die Werte einer Parteiendemokratie angenommen haben, und bereitwillig das Handeln unserer Politik, d.h. auch diese Verbrechen akzeptieren, ohne zu protestieren, zu intervenieren.

    Frei nach dem Motto: "Naja, wenns geheim ist... das wird schon seine Berechtigung haben. Das sind ja die Experten, die werden ja wissen, was zu tun ist."

    Europa und insbesondere Deutschland sollte da eig. eine GANZ ANDERE ROLLE SPIELEN!

    Man gibt sich jedenfalls nicht die Mühe, mal die Wahrheit über 9/11 anzusprechen

    (nämlich zB die Unstimmigkeiten der Fakten über die "Terroristen" des 11.9. und der physikalisch nicht mögliche "Einsturz des World-Trade-Centers", ohne das bei den benachbarten Gebäuden auch nur ein Fenster zerbrochen ist!),

    u.a. weil man ja nicht schlecht am 11.9. verdient hat und weil sich vor dem Hintergrund des Phantoms Terrorismus allzu gut die Überlebensstrategien der Finanzoligarchie durchsetzen lassen, die in der Errichtung von Polizei- und Überwachungsstaaten bestehen.

  • JC
    joe conte

    Entwicklungen sind unvermeidlich im Guten und im Schlechten. Wer glaubt, dass Transparenz zugleich mehr Freiheit, mehr Autonomie, mehr Selbständigkeit des Einzelnen bedeuten soll, der macht sich etwas vor. Selbstsucht in all den Facetten ist die Triebfeder unserer Welt, mehr denn je. Diejenigen, die uns die unbegrenzte Freiheit verkünden sind die wahren Reaktionären unserer Zeit. Der stereotype Konservative ist hingegen der eindeutige Gesellschaftsavangardist, denn er baut auf vorhandenem auf und sucht nicht das Chaos, aus dem nur der Abenteurer und der Draufgänger ohne Rückgrat und Hintergrund fischen wollen und können.

  • PB
    Pater Brown

    "Der sonntaz-Streit spiegelt diese Haltung nicht wieder." Kann er auch nicht, denn er müsste sie "widerspiegeln".

     

    "Nicht die Wahrheit gefährdet den Weltfrieden, sondern Fanatiker, die nach der Bombe streben!" So, so: "Fanatiker, die nach Bomben streben, gefährdet den Weltfrieden."