Streit der Woche: „Diktatoren geraten unter Druck“
Das Zeitalter der willkürlichen Herrscher ist vorbei, meint der Politologe Lothar Brock. Neue Diktaturen können jederzeit entstehen, entgegnet die Totalitarismusforscherin Francesca Weil.
BERLIN taz | Vier Wochen nach dem Sturz des ägyptischen Machthabers Husni Mubarak sieht der Politikwissenschaftler Lothar Brock die zusammenbrechenden Diktaturen in der arabischen Welt als Anzeichen für ein generelles Sterben autoritärer Regime. „Diktatoren geraten zunehmend unter Druck“, schreibt Brock im Streit der Woche der sonntaz.
Den gesamten Streit der Woche und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 12./13. März 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz an ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de erhältlich. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.
Seit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes im Jahre 2002 würden die Verbrechen, die Diktatoren systematisch an der eigenen Zivilbevölkerung begingen, nicht mehr länger hingenommen. „Natürlich bedeutet die Weiterentwicklung des Rechts kein Ende von Straftaten. Aber sie bedeutet ein Ende der Möglichkeit, willkürliche Gewalt als Wahrnehmung öffentlicher Anliegen zu rechtfertigen“, schreibt Brock.
Francesca Weil, Totalitarismusforscherin am Dresdner Hannah-Arendt-Institut, sieht die Gefahr der Entstehung neuer Diktatoren hingegen als noch nicht gebannt. „Die Veränderungen in der arabischen Welt sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der Welt zahlreiche andere Diktatoren herrschen, deren Macht und Einfluss gegenwärtig nicht unmittelbar zur Disposition stehen“, schreibt sie im Streit der Woche.
Der Bestand von Demokratien sei nicht dauerhaft gesichert, schreibt Weil. „Solange begründete Verunsicherungen, Ängste wie Zweifel von Teilen der Bevölkerung in demokratisch verfassten Ländern die Sehnsucht nach einem starken Staat und einer damit verbundenen charismatischen Führung wecken.“
Der italienische Philosoph und Journalist Flores D'Arcais wirft der Europäischen Union Versäumnisse bei der Demokratisierung im Nahen Osten vor: „Europa hätte seit Jahren schon eine aktive Rolle zugunsten der Demokratie in Nordafrika einnehmen können und müssen.“
Stattdessen habe die EU jedoch die Unterwürfigkeit gegenüber den Tyrannen vorgezogen, weil Geld nicht stinke - „und womöglich auch, weil die europäischen politischen Kräfte in immer geringerem Maße auch im eigenen Land die Demokratie als Verpflichtung betrachten“, kommentiert D'Arcais in der sonntaz.
Florian Musil, der an der Uni Wien zu den Themen Diktatur und Transformation forscht, meint, dass vielen Bürgern in Diktaturen die Notwendigkeit der grundlegenden Freiheitsrechte erst dann bewusst werde, wenn sie beim Versuch, ihr Leben zu meistern, mit dem Regime in Konflikt gerieten. Das genaue Gegenteil könne in Demokratien geschehen, ist sich Musil sicher.
„Menschen, die dort Probleme haben, ihr Leben zu meistern, kämpfen manchmal eben nicht um eine Stärkung ihrer Bürgerrechte, sondern verlieren ihr Vertrauen in die Politik und sehnen sich nach einer starken Hand, die alles für sie regelt“, sagte Musil taz.de. So könne sich der historische Kreislauf Demokratie – Hierarchie weiter drehen und mit ein wenig Charisma oder einer entsprechenden Hausmacht setze sich wieder ein Diktator an die Spitze eines Staates.
Im Streit der Woche in der aktuellen sonntaz diskutieren außerdem taz.de-Leser Kevin Culina, der ungarische Journalist Márton Gergely und die Autorin Sonja Margolina, die in Moskau geboren wurde und heute in Berlin lebt.
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