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Streit der Woche Missbrauchsrecht"Bedauern reicht nicht mehr"

Agiert der Staat beim Thema Missbrauch zu lasch? Ja, sagt Unions-Rechtsexperte Grosse-Brömer. Er fordert härtere Strafen. Der Grüne Montag widerspricht.

Dom in Limburg, wo es ebenfalls Missbrauchsvorwürfe gab. Bild: dpa

Michael Grosse-Brömer, rechtspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, fordert härtere Strafmaßnahmen für sexuellen Missbrauch. „Wir brauchen Regelungen, die es Tätern künftig schwerer machen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen“, schreibt er im „Streit der Woche“ der sonntaz. Die Verjährungsfrist müsse verlängert und Kindesmissbrauch endlich als Verbrechen eingestuft werden. Nur so könne man Missbrauchsopfern gerecht werden, die lange mit traumatischen Erfahrungen zu kämpfen haben. „Weiter nur zusehen und bedauern reicht nicht mehr“, so Grosse-Brömer.

Der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag sieht das anders. „Wer jetzt nach höheren Strafen und längeren Verjährungsfristen ruft, handelt unsachlich, polemisch und lenkt von realen Mängeln ab“, schreibt er. Montag glaubt nicht, dass der Rechtsstaat zu passiv auf sexuelle Gewaltdelikte reagiert. Die zahlreichen Missbrauchsfälle seien vielmehr einer „kinderfeindlichen, verklemmten Gesellschaft“ zuzuschreiben. „Wer eine verlogene Sexualmoral predigt, ist mitschuldig daran, dass hunderte, vielleicht tausende von Kindern und Jugendlichen in Schulen sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren“, findet er.

Nachdem sexuelle Gewaltdelikte am Berliner Canisius-Kolleg, dem Kloster Ettal, bei den Regensburger Domspatzen und am privaten Reform-Internat Odenwaldschule in Heppenheim bekannt geworden sind, häufen sich nun Hinweise auf sexuelle Übergriffe an Schulen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.

Bild: taz

Den gesamten Streit der Woche lesen Sie in der aktuellen sonntaz – am 13. und 14. März gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.

„Dass vielen Missbrauchsopfern durch Verjährung die Möglichkeit genommen wird, strafrechtlich vorzugehen, muss geändert werden“, schreibt Martin d'Idler, seit 1999 Lehrer an der Odenwaldschule, auf taz.de. „Alles andere ist Täterschutz.“ Georg Kohl von der Initiative „Wir sind Kirche“ ist ähnlicher Meinung. Der Staat müsse alle nur möglichen Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ergreifen.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und Bundesbildungsministerin Annette Schavan, beide CDU, berufen am 23. April einen Runden Tisch mit Vertretern von Kirchen sowie Lehrer- und Sozialverbänden ein. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warf der katholischen Kirche mehrfach vor, Missbrauchsfälle mangelhaft aufzuarbeiten. Die FDP-Politikerin plant darum einen zweiten Runden Tisch und trifft sich voraussichtlich am 25. März mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch.

Im „Streit der Woche“ diskutieren außerdem Ernst Wolfgang Kneese, Leiter des Vereins „Flügelschlag“ gegen Kindesmissbrauch, Iris Hölling, Geschäftsführerin der Organisation „Wildwasser“ gegen sexuelle Gewalt, Bernd Hans Göhrig, Vorsitzender des Ökumenischen Netzwerks „Kirche von unten“, Manfred Schweitzer von der Staatsanwaltschaft Berlin und Hans-Ludwig Kröber, Charité-Professor für das Grenzgebiet von Recht und Psychiatrie.

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9 Kommentare

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  • H
    Happes

    "Wer heute noch, nach all dem nachgewiesenen Ratzinger Wissen, Kirchensteuer zahlt, macht sich mit-schuldig."

     

    Wie wahr! Deshalb sollte man es vielleicht mal mit einer Sammelklage gegen alle Bezahler von Kirchensteuer (kath.) versuchen. Wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Ganz fair wäre das wohl nicht, aber sehr effektiv.

  • K
    K.Koronetz

    P.S.

     

    Da Vertuchung das Hauptanliegen der kath. irche zu sein scheint:

    Wie wäre es mit Public Service? Abfallsammeln an den Straßenrändern. Parkwege fegen. Offentliche Toiletten säubern.

     

    In leuchtend orangenen Kutten, gerne auch zusätzlich mit den aktuellen Farben das apostolisxhen Jahres dekoriert.Aber vor allem: In den Gemeinden, dessen Kids sie der sexuellen Gewalt ausgesetzt haben!

     

    Klingt nach Rache? Nein. Nur Bibel: Auge um Auge.

  • K
    K.Koronetz

    Verjährung schützt die Täter. Warum soll das gut sein? Cui Bono? Die Opfer - und ihre Familien und Kinder! - leiden ein Leben lang.

     

    Wenn Sie wenigstnes zwischen Strafrecht und Zivilrecht unterschieden hätten - noch nicht einmal dazu hat es gereicht.

     

    Was,bitte,ist dann der folgerichtige nächste Schritt? Vergewaltigt Frauen, die einen Minirock trugen, sind selber Schuld? Italienische Verhältnisse?

     

    Laßt die Kirchen zahlen, wie in den U.S.A.! Mammon ist doch eh das Einzige, wss sie zum Umlenken und Umdenken bringt.

     

    Wer heute noch, nach all dem nachgewiesenen Ratzinger Wissen, Kirchensteuer zahlt, macht sich mit-schuldig.

     

    NYT-URL:http://www.nytimes.com/2010/03/16/world/europe/16church.html?src=me&pagewanted=all

     

     

    Und Ratzinger? Nehmt Tutu zum Vorbild: Reconciliation.

    Täter und Opfer in einem öffentlichen Raum. Entschuldigt er sich: kein Strafverfahren.

    Ansonsten: Knast. Aber oberes Bunkbed.

  • U
    Ute

    Dass die Law-and-Order-Politiker der sogenannten CDU nun ständig nach Verschärfungen des Strafgesetzbuches und nach dem Überwachungs-und Polizeistaat schreien ist ja nun wirklich echt nichts Neues, aber sehr kennzeichnend!

    Seit 1998 wird das Sexualstrafrecht nun kontinuierlich verschärft. Zuletzt auf Betreiben der EU im Jahre 2008.

    Wohin wollen wir es denn noch treiben? Amerikanische Verhältnisse?

    Alle schwätzen von Mißbrauch, differenziert wird nicht mehr!

    Sexueller Mißbrauch von Kindern? Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen? Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen?

    Auch die "taz" differenziert nicht mehr!

    Da faselt man sogar von sexueller Belästigung zwischen ERWACHSENENEN Schiedsrichtern!

    Hauptsache SKANDAL+SEX

  • FI
    Friedhelm Illian

    Die Scheinheiligkeit wie das Thema Mißbrauch behandelt wird,zeigt wie desolat unser Gemeinwesen ist.

    Die meisten Opfer haben in ihrem Leben mit erheblichen psychischen Problemen zu kämpfen.Kinderseelen werden geschändet und die überwiegende Zahl der gesellschaftlichen Elite schaut beschämd nach unten.

    Pädagogen und Pfarrer werden in der Mehrzahl nach dem Beamtengesetz alimentiert.Eine Strafe muß her.Bei nachgewiesener Schuld der Täter - sofort Entzug des Beamtenstatus, keinen Pensionsanspruch (ab in Hartz IV)und mehrjährige Gefängnisstrafen.Ein großer Teil der Täter wird es sich dann zweimal überlegen, ob Sie Kinder schänden.Den Kirchen sollte klipp und klar gesagt werden, wenn Sie nicht bedingungslos kooperieren, wird der Staat nicht mehr die Kirchensteuer einziehen.

    Erinnern wir uns an verschiedene Verfahren gegen Schänder aus der Unterschicht (Beispiel Worms)- die Medien und die politische Klasse hielt reden über unser Gemeinwesen.Heute - da die Täter aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft kommen - schweigt die Elite, schaut beschämd nach unten.

    Wo sind die Menschenrechtler geblieben, wo sind Worte unseres Bundespräsidenten, wo sind Worte der Kanzlerin.

    Eine Gesellschaft steht am Abgrund - das in schönen Worten gepredigte Gemeinwesen zerfällt.

    Die politischen und gesellschaftlichen Eliten - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - ( egal ob links oder rechts ) versagen bei zentralen Fragen unseres Gemeinwesens.

    Den Opfern gehört die Solidarität und nicht wie teilweise zu lesen ist, Verständnis für die Täter zu wecken.

    Perverser geht es anscheinend nicht.

  • SP
    Siegfried Paul Posch

    Diese Zeilen wurden als Fortsetzung einer Diskussion

    auf dem Gästebuch der Stadt Graz ("google.at",

    Suchbegriff "siegfried paul posch") vor weniger als

    einer Stunde freigeschaltet, mit der Überschrift

    "Huren und 'Greuel'":

     

    Einerseits: im ALTEN TESTAMENT ehelicht der

    Prophet Hosea eine Hure. Im NEUEN TESTAMENT

    scheint Johannes - der Lieblingsjünger Jesu! -

    in der Offenbarung, 17,5, mit Ekel von Huren zu

    sprechen - er nennt "Babylon" ... "die Mutter der

    Hurerei und aller Greuel auf Erden". Muß man

    nicht behaupten, daß das ALTE TESTAMENT uns

    Menschen die Erlösung verkündigt, überhaupt

    nicht das NEUE TESTAMENT?

    Andrerseits: ich wurde in Graz vor Gericht zitiert,

    weil ich der Überzeugung bin, daß zwei Frauen,

    die lesbisch quasi oder getraut als Ehegatten

    zusammenleben, kein Kind erziehen sollen. Ein

    Herr, der hier in Graz in der Salvator-Pfarre als

    "römisch-katholischer" Priester amtierte und eine

    Dame und ein weiterer Herr, die sich zu seinem

    Amt als ihrem Pfarrer bekannten, vertraten

    öffentlich und mir gegenüber überaus entschieden

    die Ansicht, ein Kind folge trotzdem einem

    religiösen Bekenntnis seiner Mutter nach, obwohl die

    Mutter lesbisch quasi oder getraut als Ehegattin

    mit einer Frau zusammenlebte. Das halte i c h

    für einen Irrtum und zugleich die gegenwärtige

    "Mißbrauchsdebatte" neben d i e s e m Irrtum in

    einem bestimmten Maß für lächerlich.

    S. P. Posch

  • A
    avelon

    Fuer mich ist vollkommen fremd, was Herr Montag von sich gibt.

     

    Das Eine schließt doch das Andere nicht aus.

     

    Längere Verjährungsfristen und bessere Aufklärung schließen sich nicht aus.

     

    In einem Punkt gebe ich Herrn Montag allerdings Recht:

     

    Deutschland ist kinderfeindlich. Da nutzen Elterngeld, Beihilfen, steuerliche Absetzungsmöglichkeiten usw. rein gar nichts.

  • S
    safi

    Es darf bei Missbrauch keine Verjährung geben, für die Opfer verjährt die Tat auch nicht (ich weiß wovon ich schreibe). Ein Opfer braucht oft mehrere Jahre (bis Jahrzehnte), um endlich bereit dazu zu sein, den Täter in die Verantwortung zu ziehen. Aber dann ist es für rechtliche Schritte zu spät. Einfach absurd!

  • R
    reblek

    Missbrauch, Missbrauch, Missbrauch und kein Ende. Bloß weil es sich um Kinder handelt, wird es nicht genannt, was es ist Vergewaltigung.