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StreiklichtC'est bordélique

■ Das kleine, handliche französische Streiklexikon

Die Situation sei bor-dé-lique sagen die Pariser, wenn das Chaos besonders groß ist. Seit dem 23. November hat diese Adjektivierung von bordel Einzug in die Medien gehalten. Wer morgens um fünf Uhr aufgestanden ist, seit Stunden im Stau (bouchon) steht, rundum von einer Smogwolke und einem Hupkonzert eingehüllt wird und plötzlich ein Mikrophon vor dem Mund hat, der kann einfach nichts anderes sagen. Es sei denn, es handelt sich um eine jener selbstbeherrschten Personen, die es schaffen, auch nach zwei Wochen Streik noch höflich zu lächeln. Der Radfahrer, der sich mit Atemmaske zwischen den ineinander verkeilten Autos auf der Place de la Concorde durchschlängelt, will nicht auf die Gelegenheit warten, interviewt zu werden. Er hat sich in dicken Lettern auf der Rückseite seiner Jacke als otage de la SNCF, als „Geisel der Bahn“, beschrieben. Als otages bezeichnet sich auch die täglich wachsende Zahl der Verbraucher, die unter Anleitung der Regierungspartei RPR Komitees gegen den Streik oder für eine „Minimalversorgung“ gründen. Wie die meisten Pariser haben sie seit vielen Tagen Ränder unter den Augen und Muskelkater in den Beinen. Und sie haben es satt, ihr Leben per „système-d“ – die spezielle französische Mischung von „Vitamin B“ und „Sichdurchwurschteln“ – zu bewältigen.

Angefangen hat alles mit dem bösen Wort nantis – „Privilegierte“ –, mit dem Alain Juppé die Beamten bedachte. Sein Pech war es, daß die fünf Millionen Staatsdiener damals schon wußten, daß der Premierminister in einer spottbilligen stadteigenen Wohnung in Paris wohnte, die er auf Steurkosten hatte luxusrenovieren lassen. Als Juppé dann auch noch die sécu angriff, die Sozialversicherung, begann der Streik. Seither beteuern Menschen im ganzen Land, daß die wirklichen nantis in der Regierung sitzen.

Die Franzosen haben die Schnauze gestrichen voll: Die Korruption, die nicht erfüllten Versprechungen, die Sparpläne, die verkrusteten Hierarchien – all das wird dieser Tage unter dem knappen Satz y en a marre oder ras le bol subsumiert. Pessimisten, die nicht mehr an eine Verhandlungslösung mit der sturen Regierung glauben, sagen bereits ein bitteres Ende der Proteste voraus: „Es wird knallen“ – „ça va péter“.Dorothea Hahn/Paris

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