piwik no script img

Streik in FrankreichNicht nur die Züge stehen still

Frankreich steht still: Mit einer großen Protestaktion wollen acht Gewerkschaften die geplante Rentenkürzung der Regierung Sarkozy aufhalten.

Der Ausstand hat den Pariser Gare d'Austerlitz heute leer gefegt Bild: dpa

Paris taz "Rühr meine Rente nicht an", steht auf den Transparenten. Sie waren gestern auf Großdemonstrationen in Paris, Marseille, Lyon und den meisten anderen französischen Orten zu sehen. Unterdessen standen der Eisenbahnverkehr sowie der Busverkehr im Land fast komplett still. Bestreikt wurden auch weite Bereiche der Post, der Schule und des Energiesektors.

Dem Streikaufruf von acht Gewerkschaften - der breitesten gewerkschaftlichen Einheitsfront seit den dreiwöchigen Streiks im Herbst 1995 - wurde besser gefolgt, als Pessimisten zuvor geglaubt hatten. Vordergründig ging es nur um einen Teilaspekt der globalen Rentenreformen: um die von Staatspräsident Nicolas Sarkozy und seinem Premierminister François Fillon geplante Abschaffung der "Sonderrenten", die es rund 500.000 Beschäftigten aus harten Berufen erlauben, mit 50 bis 55 Jahren in Rente zu gehen. Dennoch beteiligten sich weite Teile der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, vor allem solche, die nicht von den Sonderrenten profitieren, an der gestrigen Bewegung.

"Sarkozy versucht, die Renten scheibchenweise zu zerschlagen", erklärt ein 72-jähriger Rentner, der früher für die Elektrizitätsbetriebe gearbeitet hat, "er will als Erstes die Sonderrenten kippen, dann die Renten insgesamt anders finanzieren und dann die Lebensarbeitszeit verlängern".

Andere Demonstranten in Paris höhnen über ihre Parlamentsabgeordneten: Kurz bevor sie daran gingen, den Rentenanspruch der Gesamtbevölkerung zu beschneiden, haben sie sich selbst einen Rentenanspruch schon nach einer einzigen Legislaturperiode zugeschanzt - nach 5 Jahren statt nach 40.

Im Herbst 1995 hatte der damalige Premierminister Alain Juppé versucht, die Rentenreform im öffentlichen Dienst nicht scheibchenweise, sondern global anzugehen. Er scheiterte nach drei Streikwochen. Dieses Mal geht die politische Spitze anders vor. Aber gestern sah es so aus, als würde ihre Rechnung wieder nicht aufgehen.

In der Pariser Demonstration trafen ganz verschiedene soziale Unmutsbewegungen zusammen: Studenten, die skandieren: "Meine Fakultät ist nicht zu verkaufen." Lehrer, die verhindern wollen, dass allein im Schulbereich im nächsten Jahr 11.000 Stellen gestrichen werden, obwohl schon bald neue geburtenstarke Jahrgänge ins schulreife Alter kommen. Und Eisenbahner, die nicht willens sind, zu akzeptieren, dass jene, die im Schichtdienst, nachts und am Wochenende arbeiten müssen, künftig auch noch mit 60 Jahren an der Schiene stehen sollen. Die Beschäftigten der Gaswerke GDF befürchten, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Beamte nur der Anfang ist. "Als Nächstes werden sie von uns allen - im privaten und öffentlichen Bereich - verlangen, dass wir 41 Jahre lang arbeiten", sagte eine Gaswerkerin.

Bernard Thibault, Chef der größten Gewerkschaft CGT, interpretierte die Streikbewegung gestern Mittag als "Erfolg" und wies die Regierung darauf hin, dass sie nun doch verhandeln müsse. Auch über jene Fragen, die Fillon und Sarkozy bislang als "unabdingbar" bezeichnet haben - darunter die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Beamte. Mehrere kleinere Gewerschaften haben bereits eine Verlängerung des Streiks über den heutigen Tag hinaus angekündigt.

Für Staatspräsident Sarkozy geht damit der "schwarze Oktober", wie die Wochenzeitung Nouvel Observateur schreibt, weiter. Nach der Protestbewegung gegen die Gentests für bestimmte afrikanische Ausländer, die eine Familienzusammenführung planen, nach dem verpassten WM-Titel im Rugby hat er es jetzt mit einer großen sozialen Protestbewegung zu tun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!