piwik no script img

Streik-KolumneVon Kreuzberg zum Savigny-Platz

streikwege

Am Dienstag mehrfach auf dem Fahrrad klatschnass geworden und abends trotzdem noch mal aufgestiegen, am Mittwoch gegen den Sturm zum Tangokurs geradelt, am Donnerstag und Freitag kombinierte Radtouren und Fußmärsche: Der BVG-Streik hat sich zu meinem Fitnessprogramm entwickelt. Nachdem ich verblüfft festgestellt hatte, dass das Nicht-Vorhandensein von U-Bahnen und Bussen keine Katastrophe war, beschloss ich, den Streik als sportliche Herausforderung zu sehen: Es wäre doch gelacht, sich von Verkehrsmitteln terrorisieren zu lassen, die für InnenstadtbewohnerInnen ohnehin nur eine Bequemlichkeitslösung sind!

Gut, der Spaziergang von Kreuzberg nach Alt-Moabit war ein bisschen weit. Und beim Tango war ich nach der Fahrerei etwas instabiler im Bein als sonst. Trotzdem beschlossen mein Freund und ich, das Wochenende so zu verbringen, als ob es keinen Streik gäbe. Dass er kein Fahrrad hatte, war ein reizvolles Zusatz-Handicap: Noch mehr laufen, noch länger an der frischen Luft!

Wir stellten uns ein üppiges Programm zusammen: Zu Fuß über die Warschauer Brücke, vom S-Bahnhof Friedrichstraße aus zu Fuß zum Holocaust-Mahnmal, zu Fuß zu Dussmann, weiter zu einer Galerie in der Auguststraße, zu Fuß zurück zur Friedrichstraße, vom Bahnhof Zoo zu Fuß zum Olivaer Platz. Im Stilwerk in der Kantstraße saßen wir dann sehr lange auf einem Sofa, das zu kaufen wir nicht die geringste Absicht hatten.

Später, beim Chinesen machte sich Müdigkeit breit. "Mir tun die Füße weh", jammerte ich. Mein Freund machte mich darauf aufmerksam, dass wir noch eine Vernissage in Mitte und eine Party in Kreuzberg vor uns hatten. Ob ich mir von ein paar ausfallenden U-Bahnen den Samstag Abend kaputt machen lassen wollte?

Also zu Fuß zurück zum Zoo, mit der S-Bahn zum Hackeschen Markt und zu Fuß in die Linienstraße. Die Vernissage war schwach besucht, "liegt wohl am Streik", meinte die Galeristin. "Weicheier", murmelte ich. Der Rückweg zum Hackeschen Markt ging nicht mehr ganz so flotten Schrittes, in der vollen S-Bahn hätte ich gern gesessen. Auf der Warschauer Brücke quollen die Fußgängermassen über den Gehsteig und die Radfahrermassen über den Radweg. Nur auf der Party waren wenig Leute. "Liegt wohl am Streik", meinte der Gastgeber. "Streik, welcher Streik?", sagte ich, strich über meine neue Wadenmuskulatur. Und fiel in einen Sessel. Nina Apin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!