Straßenrad-WM in Katar: Ganz vorn dank Heizlüfter
Bei der Straßenrad-WM in Katar leiden die Profis unter den extremen Temperaturen. Das Event mutiert zu einer Art Kühltechnikmesse.
Wegen der glühenden Sonne haben sogar die Arbeitgeber auf vielen Baustellen im Lande die für die Sommermonate inzwischen vorgeschriebene Hitzepause zur Mittagszeit bis in den Herbst hinein verlängert. Die internationale Kritik an den Arbeitsbedingungen für migrantische Arbeiter hat wenigstens das bewirkt.
Für die Straßenrad-WM, die diese Woche in Katar ausgetragen wird, sind derlei Pausen nicht vorgesehen. Das Teamzeitfahren der Frauen wurde am Sonntag gar ausgerechnet zur Mittagshitze angesetzt.
Mit dem Ergebnis, dass die dreifache Olympiasiegerin Kristin Armstrong sich vor Erschöpfung kurz vor der Ziellinie übergab, die niederländische Fahrerin Anouska Koster so benommen war, dass sie in die Absperrgitter fiel, und Mieke Kröger, im letzten Jahr immerhin deutsche Meisterin im Einzelzeitfahren und zweifache Europameisterin in dieser Disziplin, weit früher als geplant den Anschluss an ihr am Ende zweitplatziertes Team Canyon SRAM verlor. „Das war sicher der Hitze geschuldet, Mieke leidet aufgrund ihrer Physis mehr darunter als kleinere und leichtere Fahrerinnen“, erklärte Sprenger.
Erinnerung an Benidorm
Trösten konnte sich Kröger allenfalls damit, dass auch die Siegerinnen extrem litten. „Sogar die Lungen haben wehgetan. Schon nach 20 Minuten waren wir total überhitzt“, berichtete die neue Teamweltmeisterin Chantal Blaak aus den Niederlanden. Ihre Landsfrau Roxane Knetemann unterstellte dem Radsportweltverband (UCI) Fahrlässigkeit und kritisierte recht deutlich: „Die haben das nicht richtig durchdacht. In so einer Hitze sollte man gar nicht fahren, erst recht kein Zeitfahren.“
Die anderen Sportlerinnen und Sportler hielten sich aber mit offener Kritik zurück. Nicht aus Angst, eher aus gewohnter Härte zu sich selbst. Temperaturen von über 40 Grad boten in der Vergangenheit auch schon einzelne Etappen von Tour de France oder Vuelta a España. Ganz erfahrene Leute kramten sogar Erinnerungen an die WM 1992 im spanischen Benidorm heraus. Da musste der Asphalt mit kaltem Wasser am Schmelzen gehindert werden. Ergebnis: mehrere gebrochene Schlüsselbeine als Folge der zahlreichen Stürze.
Dagegen mutet diese WM eher wie ein fröhliches Sommerlager an. So ganz hatte die UCI ihrer eigenen Austragungsidee aber auch nicht getraut. Vor der WM verteilte sie eine 28-seitige Broschüre mit dem Titel „Beat the Heat“.
Hitzesimulation empfohlen
Darin warnte sie vor Hitzefolgen wie etwa höhere Herzfrequenzen: „In heißen und/oder feuchten Umgebungen ist die Fähigkeit des Körpers zum Abkühlen eingeschränkt. Um Wärme zu verlieren, pumpt der Kreislauf mehr Blut zur Haut, was eine höhere Leistung des Herzens erfordert.“ Höhere Herzfrequenzen bei weniger Leistung, lautet die Konsequenz.
Um den Athletenkörper darauf einzustellen, empfahl die UCI eine frühere Anreise, am besten sieben bis zehn Tage vor dem ersten Wettkampf. Und sie schlägt Hitzesimulation wie Saunagänge und Wärmebäder nach dem Training, ja sogar Training in Hitzekammern selbst vor.
Der deutsche Profi Tony Martin, der am Sonntag mit seiner Etixx-Quick-Step-Mannschaft im Teamzeitfahren Gold holte, wusste sich anders zu behelfen und stellte zu Hause einen Heizlüfter vor die Rolle. „Man versucht eben, überall ein paar Prozent gegenüber der Konkurrenz herauszukitzeln“, meinte er lapidar. Nun rätselt möglicherweise die Konkurrenz, inwiefern der Heizlüfter gewinnbringend war.
Im Kampf gegen die Hitze rät die UCI auch zu Vorkühlmethoden wie Eiswesten, eiskalte Drinks, Ventilatoren und Eissocken, die sogar während des Rennens auf dem Nacken platziert werden können. Die Rad-WM mutiert zur Kühltechnik-Messe. Die Fußballprofis, die bei der WM 2022 in Katar antreten müssen, werden dankbar für die in Doha gewonnenen Erkenntnisse sein.
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