Straße der Romanik: Das Schneekugelgefühl
Sie bietet rekonstruierte Prachtbauten, Malereien und Kunsthandwerk. Eine Spurensuche von Huysburg bis Eisleben
Romanisch ist nicht dasselbe wie romantisch. Oder doch? Erste Zweifel am Unterschied zwischen einer historischen Kunstepoche und einer, nun ja, Gemütsverfassung melden sich. Das Kloster Huysburg, auf der "Straße der Romanik" in Sachsen-Anhalt, wirkt schwer romantisch. Und idyllisch. Der besinnliche Ort liegt abgeschirmt von der lauten Welt im Wald inmitten sattgrüner Buchen, eine alte Mauer umgibt die Gebäude und Gärten der Benediktinermönche, alles ist aufs Feinste saniert und neuerdings, weil es so gut gelungen ist, eine Topadresse für Tagungs- und Übernachtungsgäste. Und romantisch kommt gleich der nächste Eindruck daher, als wir den Wald verlassen. Vor uns, in der Ebene, liegt Halberstadt wie eine echte alte Stadt mit hoch aufragenden Kirchturmspitzen, als wäre die Welt, in die wir gehen, noch von vorgestern und ein Hochhaus längst nicht erfunden. Wer zu Fuß unterwegs ist, liebt solche Anblicke.
Wir hätten den Pkw nehmen können, um für einige Tage um tausend Jahre zurückzudrehen. Romanik meint die Zeit zwischen 950 und 1250, als viele Städte und Klöster entstanden. Über 80 bemerkenswerte und sehenswerte historische Orte auf rund 1200 Kilometern weist die "Straße der Romanik" aus. Wir haben uns jedoch für einige Etappen auf dem Jakobus-Pilgerweg im östlichen Harzvorland entschieden, für Sightseeing mit dem Rucksack. Hier drängeln sich die Höhepunkte. Auch Halberstadt, wo es mit der Romanik nun wirklich ernst werden soll, ist nur wenige Kilometer vom Huysburg-Wald entfernt. Der Domschatz gilt als ein herausragendes sakrales Erbe. Im Dom werden die ältesten Bildteppiche Europas gehütet.
Halberstadts Schatz lockt in abgedunkelte Museumsräume, wo die monumentalen Wandteppiche verwahrt sind. Mittelalterliche Paradiese leuchten in den Vitrinen auf, geben mit ihren Heiligendarstellungen und ihrer Symbolik, den Blumenmustern und Ornamenten eine Vorstellung vom Glauben und der Glückseligkeit. Auch Goldgegenstände, geschmückte Reliquiare, Schnitzereien, liturgische Gewänder sind dekorativ ausgeleuchtet. Kaum vorstellbar, welche Machtfülle mit einem Kirchenschatz dieser Güte einmal verbunden war, wie himmlisch er gewirkt haben muss, als es noch keine Überflussgesellschaft gab. In der Liebfrauenkirche gegenüber vom Dom verblüfft die Ansicht einer sehr schönen, sehr jungen, sehr selbstbewussten Maria, die inmitten von Jüngern Jesu an den Chorschranken platziert ist. Die Kirche selbst wirkt streng und kahl. Sie wurde, wie auch der Dom, aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut. Auch wenn der erste Eindruck aus der Ferne etwas anderes glauben machte: Halberstadt ist keine altertümliche Stadt. In den letzten Kriegstagen legten alliierte Bomber hier alles in Schutt und Asche. Die Serie der tausend Jahre alten Reliefmalereien blieb erhalten.
Wer der Romanik folgt, hat es mit der Spurensuche nicht immer ganz leicht. Bereits zu ihrer Entstehungszeit machten immer wieder Brände der Pracht und Herrlichkeit zu schaffen. Selten baute man Kirchen im Original wieder auf. Der Romanik folgte die Gotik und die brachte eine neue Baufertigkeit. Und mit jeder Epoche kamen auch neue Moden. Die "Straße der Romanik" bietet uns alles: rekonstruierte Prachtbauten, Malereien und Kunsthandwerk, aber auch unter späteren Bauten verschüttete Historie, die nur noch als Idee besteht. Was noch blieb von den alten Zeiten, sind fast ausschließlich sakrale Bauten. Die meisten Burgen etwa, die uns heute alt vorkommen, stammen aus dem Hoch- und Spätmittelalter. Wer Romanik pur will, wird - gewollt oder nicht - zu einem Pilger, der sich an Kirchen und Klöstern orientiert.
Mit Quedlinburg rückt ein Weltkulturerbe der Unesco in die sakrale Folge. Es ist erheblich jünger als das Erbe der Romanik. Die rund 1300 erhaltenen Fachwerkhäuser gehen zumeist auf die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-48) zurück. Quedlinburg wird gern als "Bilderbuch der Fachwerkkunst" beschrieben. Es ist eine über die Jahrhunderte hin harmonisch gewachsene Stadt, lebendig und belebt. Ein Besucherhit. Das kleinste der alten romanischen Bauwerke macht den Anfang. Jenseits der ganz alten Altstadt und abseits der Besucherströme führt uns die Kapelle St. Johannis mitten hinein in die Welt romanischer Innigkeit, wo der Reichtum weit weg, die Frömmigkeit aber umso näher war. Schön zu sehen, wie sich damalige Baumeister an Deckenwölbungen versuchten. Hier, im Kleinen, ist es ihnen gelungen. Über uns wölbt sich ein bestirnter Himmel, original bemalt. Auch das ist Romanik: ein Schneekugelgefühl.
Auf dem Schlossberg Quedlinburgs dann ein Traumbau, die Stiftskirche St. Servatius. Die kaiserliche Basilika hält, was repräsentative Romanik verspricht, sie erweckt innen ein überaus stimmiges und harmonisches Raumgefühl. Der Sinn ihrer Baumeister für klare Formen und perfekte Raumaufteilung, die seitlichen Arkaden und Bögen, der helle Sandstein erinnern an antike Vorbilder. Und an das Streben nach Vollkommenheit. Zur Krypta mit ihren vielen Säulen und Pfeilern und den Kreuzgratgewölben sind es nur wenige Stufen hinab. Erst seit dem Frühjahr ist sie für eine begrenzte Besucherzahl wieder geöffnet. Die empfindlichen Deckenmalereien wurden über mehrere Jahre lang restauriert.
Die Stiftskirche hat viele Fans gefunden. Mit einigen möchte man nicht in einem Atemzug genannt werden. Bis zum Kriegsende nutzte die SS die Kirche als Weihestätte. Ihr Einzug begann mit dem tausendsten Todesjahr von König Heinrich I., der als "Einiger der deutschen Stämme" und "Reichsgründer" des späteren "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" in die Geschichte einging und in St. Servatius begraben wurde. Wie ein Geschenk des Himmels fiel dem Propagandaapparat der Nazis dieser 2. Juli 1936 zu, locker spannte man den Bogen vom Vorgängerreich zum geplanten neuen "Tausendjährigen Reich". Reichsführer SS Heinrich Himmler dünkte und gab sich auch als Inkarnation des berühmten Heinrich.
Wir sind hier, das betont noch jeder Prospekt, im deutschen "Kernland". Praktisch auf Schritt und Tritt sind wir mit Geschichte und den Spuren dieser Geschichte konfrontiert. Auf Quedlinburg folgt nach wenigen Kilometern Gernrode. Die örtliche Stiftskirche St. Cyriakus ist vielleicht noch etwas gelungener als die Quedlinburger, und, nach der Restaurierung im 19. Jahrhundert, einen Tick romantischer. Auf romanische Spuren treffen wir selbst im Fürstensitz Ballenstedt, heute ein reizvoll präpariertes, barockes Gesamtkunstwerk samt Gartenreich. Tatsächlich war vor tausend Jahren östlich des Harzes mehr los als westlich davon. Selbst das Gebilde Deutschland, wie wir es heute kennen, nahm seinen Ausgang in Sachsen und dem heutigen Sachsen-Anhalt, angestoßen von besagtem Heinrich I. und seinen Erben, den Ottonen.
Wie eine Acht liegt die Straße der Romanik auf Sachsen-Anhalt mit Magdeburg als Zentrum und Kreuzung der Nord- und der Südschleife. Die Route zählt auf über 1.000 Kilometern 80 ausgewählte Dome, Kirchen, Klöster und Burgen. Ausgearbeitet wurde sie Anfang der Neunzigerjahre, und sie entwickelte sich zu einem erfolgreichen touristischen Projekt. Inzwischen hat ihr der Europarat die Auszeichnung "Europäische Kulturroute" verliehen im Zusammenhang mit "Transromanica", einem europäischen Netzwerk der Romanik. www.romanikstrasse.de, www.sachsen-anhalt-tourismus.de
Mit dem "Haus der Romanik" besteht seit 2007 in Magdeburg auch ein Info- und Ausstellungszentrum. Der St. Jakobus Pilgerweg durch Sachsen-Anhalt führt auf 370 Kilometern von Jerichow an der Elbe nach Mücheln - mit Anschluss an den ökumenischen Pilgerweg Via Regia, der bei Freyburg an der Unstrut weiter gen Westen in Richtung Spanien führt. Der Pilgerweg zählt 22 geistliche Stationen. Er verdankt sich einer Arbeitsgemeinschaft aus Vertretern des Landes, der Kirchen, der Fränkischen Jakobusgesellschaft und Wandervereinen. www.jakobusweg-sachsen-anhalt.de
Neuerdings, nach einer Erweiterung der "Straße der Romanik", liegt auch die Stadt Eisleben auf der Route. Und damit schon das zweite Weltkulturerbe. Eigentlich ist Eisleben kein Ziel der Romanik mehr, sondern, in der Sprache der Touristiker: "Luthers Land." Von hieraus mischte im 16. Jahrhundert der Mönch Martin Luther die kirchliche Welt des Abendlands auf. Er stieß die Reformation an und brachte, dank seiner Übersetzung der Bibel, die deutsche Sprache auf den Weg.
Die Spuren der Romanik führen uns weiter, aus Eisleben heraus in Richtung Halle. An der Landstraße liegt Eislebens Gewerbegebiet mit Super-, Billig-, Bau- und Großmärkten und McDonalds. Und dann versucht uns wieder ein Kloster in den Schoß von Mutter Kirche zu locken. St. Marien zu Helfta ist das Kontrastprogramm zum modernen 21. Jahrhundert. Wo eben noch der Schwerlastverkehr lärmte, herrscht in der Klosteranlage plötzlich Ruhe, wo eben alles neu war, ist nun alles ganz alt. Nicht ganz. Auch Kloster Helfta wurde in den letzten Jahren fast komplett saniert, aber nicht immer im Original wieder aufgebaut. Altes Gemäuer ist geschickt in neue Bauten integriert. Aber der historische Stil der Anlage wurde bewahrt. Die Strenge der Backsteinbauten, ihre machtvolle Ausstrahlung blieben erhalten. Den klösterlichen Neuanfang stemmten nach 450 Jahren Nonnen aus Bayern, die Ende der Neunzigerjahre die heruntergekommene Ex-Staatsdomäne übernahmen.
Was hier romanisch ist? Kloster Helfta geht auf die Ära der Mystikerinnen Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hakeborn und Gertrud von Helfta zurück. Die Zisterzienserinnen von heute und ihre Gäste wollen an diesen Zentralfiguren deutscher Frauenmystik und ihrer Spiritualität wieder anknüpfen. Und irgendwie klingt das auch romantisch.
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