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Strahlen-Physiker Gustav-Adolf Voss"Es gibt keine sichere Welt"

Wenn in Beschleunigern Elementarteilchen aufeinander prallen, entsteht unweigerlich auch radioaktive Strahlung. Der Physiker Gustav-Adolf Voss hat jahrzehntelang dafür gesorgt, dass nichts davon in die Umwelt gelangt - ein Gespräch über echte und gefühlte Gefahren.

Die US-amerikanische Nuklearanlage Hanford im Jahr 2008. Bild: ap
Interview von Marlene Weiss

taz: Herr Voss, Sie hatten als Leiter des Teilchenbeschleunigers am Hamburger Forschungsinstitut Desy jahrzehntelang mit Radioaktivität zu tun. Hatten Sie keine Angst?

Gustav-Adolf Voss: Ich war verantwortlich für alles Technische im Zusammenhang mit den Beschleunigern. Und damit eben auch für den Strahlenschutz. Wenn etwas passiert wäre, ich wäre schuld gewesen. Was meinen Sie, was ich rumgerannt bin mit dem Strahlungsmesser und alles selber nachgemessen habe? Ich habe niemandem geglaubt.

Sie sind 80 Jahre alt und inzwischen vollständig erblindet. Was treibt Sie an, jetzt noch ein Buch über radioaktive Strahlung zu schreiben?

Gustav-Adolf Voss, 80

Von 1973 bis 1994 war Voss Mitglied des Direktoriums am Hamburger Forschungsinstitut Desy (Deutsches Elektronen-Synchrotron). Dort war er verantwortlich für den Bau und Betrieb von Teilchenbeschleunigern, mit denen Physiker die Struktur der Materie erforschen. Seit 1974 war er außerdem Professor für Physik an der Universität Hamburg. Das Buch "Hilfe, wir werden bestrahlt…" von Gustav-Adolf Voss, Ulrike Voss und Dagmar Willhöft ist im Selbstverlag erschienen.

Ich möchte versuchen, den Leuten das richtige Verhältnis zu diesen Dingen zu vermitteln. Letztendlich geht es immer darum, dass man eine Gefahr beurteilen kann. Wenn jemand hingeht und radioaktiven Abfall so konzentriert, dass er das wem unters Essen mischen kann, dann käme das Opfer vermutlich in Schwierigkeiten. Aber das ist eine völlig undenkbare Situation! Um das zu vermitteln, habe ich in meinem Buch auch die Geschichte von Hanford erzählt.

Einer der großen amerikanischen Umweltskandale der achtziger Jahre.

Hanford war überhaupt die größte Umweltschweinerei in der westlichen Welt. In der Zeit des Wettrüstens zwischen Amerika und Russland musste jeder mehr Atombomben und Raketen haben, auf Teufel komm raus wurden atomare Sprengköpfe gebaut. Um schnell das nötige Plutonium zu gewinnen, hat man acht Reaktoren bei Hanford im US-Bundesstaat Washington angelegt, die nur die Aufgabe hatten, Plutonium zu erzeugen. Der radioaktive Abfall wurde in große unterirdische Tanks gesteckt, und dann wurde weitergebrütet.

Und dann gab es ein Leck.

Nicht eines! Fast alle Tanks waren irgendwann leck. Das war von vornherein klar. Wenn mir einer vorschlägt, ein Endlager zu bauen, indem er einen Stahltank 100 Meter in der Erde versenkt, würde ich sagen, das ist nicht die beste Lösung.

30 Jahre lang wurde geheimgehalten, was da passiert war.

Na, man hat nicht darüber geredet. Das zentrale Gelände ist heute noch gesperrt, aber am Rand wurden Städte gebaut, wo die Arbeiter wohnten. Und den Menschen da geht es wunderbar. Die haben weder Leukämie noch andere Krankheiten.

Aber sie dürfen keine Grundwasserbrunnen bauen.

Ja, gut, das Grundwasser ist verseucht, aber das kommt ja nicht von allein an die Oberfläche. Grundwasser bewegt sich sehr langsam. Allerdings ist natürlich der Columbia River in der Nähe, denn die Reaktoren brauchten Kühlwasser. Jetzt macht man sich Sorgen, was passiert, wenn das Grundwasser im Fluss ankommt. Man hat deswegen technische Maßnahmen ergriffen, um das Grundwasser in andere Richtungen zu lenken, so dass für die nächsten Jahrhunderte nichts passiert. Danach wird die Strahlung abgeklungen sein.

Aber würden Sie persönlich in Hanford leben wollen?

Ja. Ich hätte keine Angst. Aber wissen Sie was: Ich bin ein vorsichtiger Mensch. Als erstes würde ich mir ein Strahlungsmessgerät kaufen, und mit dem würde ich spazieren fahren. Und dann würde ich selbst entscheiden, ob ich damit einverstanden bin.

Trotzdem zeigen Fälle wie Hanford, dass einmal freigesetzte radioaktive Stoffe schwer in den Griff zu bekommen sind.

Es gibt eben keine sichere Welt. Alles ist eine Abwägung von Risiken. Tschernobyl war eine furchtbare Angelegenheit, aber inzwischen laufen Kernkraftwerke seit 20 Jahren unfallfrei. Und dann heißt es, Kernenergie sei grundsätzlich nicht von Menschen beherrschbar! Aber was ist mit der Luftfahrt? Da hatten wir dieses Jahr auch zwei schwere Unfälle, aber niemand würde sagen, dass das unbeherrschbar ist.

Aber wo soll man denn nun mit dem Abfall hin? Halten Sie Asse und Gorleben für geeignete Lager?

Ich habe mir fest vorgenommen, dazu nichts zu sagen, denn ich will nicht in die Befürworter- oder Gegner-Ecke gestellt werden.

Wieso eigentlich nicht?

Weil Leute, die Angst haben, nicht überzeugt werden können. Manche Politiker sagen, wenn ein Endlager nicht für eine Million Jahre garantiert werden kann, ist es nicht akzeptabel. Aber die Isotope, die besonders gefährlich sind, haben ziemlich kurze Lebensdauern. Strontium oder Caesium haben Halbwertszeiten von 30 Jahren, nach 200 Jahren ist fast nichts mehr da. Und dann haben die Leute Angst vor Uran! Uran zerfällt so langsam, das hat eine Halbwertszeit von 4 Milliarden Jahren, so alt ist unser Sonnensystem. Wegen Uran muss man sich nun wirklich keine Sorgen machen.

Es geht ja auch gar nicht darum, Uran einzulagern.

Richtig. Das Problem sind die Elemente zwischen den Kurzzeitigen und Uran. Plutonium beispielsweise hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, viele andere Elemente liegen bei etwa 1.000 Jahren. Aber die Leute wissen so wenig darüber. Sie wissen zum Beispiel nicht, dass sie alle radioaktiv sind, dass ständig radioaktives Kalium aus ihrem Körper tritt. Die protestierende Masse an Umweltschützern schlägt jeden Castorbehälter um einen Faktor 100, was die Strahlungsemission angeht.

Jetzt würde mich interessieren…

…das ist veröffentlicht! Das kann man nachlesen!

Das Buch ist ein Dialog zwischen Ihrem Alter Ego und seiner jungen Enkelin Fiona. Gab es ein Vorbild für Fiona?

Ja, die Tochter meiner Halbschwester, die ist gerade in dem Alter.

Haben Sie mit ihr mal über Kernkraft gesprochen?

Nein, sie interessiert sich momentan nur für Pferde.

Finden Sie es nicht problematisch, Fionas Generation tonnenweise strahlenden Abfall zu hinterlassen?

Natürlich mache ich mir Sorgen, wie die Welt in Zukunft aussehen wird. Aber das hat nichts mit Atomkraftwerken zu tun. Mir macht das waffenfähige Plutonium Sorgen. Man braucht nur drei Kilo, um eine Bombe zu bauen, die tausendmal so stark ist wie die Hiroshimabombe. Und wir haben davon 50 Tonnen auf der Welt! Früher oder später wird das in die falschen Hände geraten, und damit könnte Furchtbares angestellt werden.

Das heißt, wir sollten wieder mehr Angst haben?

Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn man aufhört, Angst zu haben. Und wovor man Angst haben sollte, ist diese Unmenge an spaltbarem Material, die hier in der Welt existiert. Das ist absoluter Irrsinn. Was ist, wenn die Taliban in den Besitz einer Atombombe kommen? Solange das Zeug nicht vernichtet ist, habe ich Angst.

Sie sind Mitbegründer eines Forschungsprojektes in Jordanien. Ist das ein Versuch zur Friedensstiftung?

Ja! Wir hatten da eine Anlage in Berlin, die stillgelegt werden sollte, der Elektronenspeicherring Bessy I. Und dann wurde vorgeschlagen, das Gerät nach Jordanien zu bringen, denn im gesamten Nahen Osten gab es keine solche Anlage. Selbst Israel hat keine Möglichkeit, im eigenen Land mit so etwas zu arbeiten.

Wozu braucht man denn solche Anlagen?

Bessy erzeugt Synchrotronstrahlung, mit der man zum Beispiel die Struktur von Proteinen erforscht. Inzwischen gibt es 70 Institute weltweit, das ist ein ganz wichtiges Gebiet. Aber am meisten lernt man, wenn man zusammenarbeitet, und außerdem vergisst man dabei, sich zu hassen! Das ist damals in Genf auch passiert. Da haben die Leute nach dem zweiten Weltkrieg zusammen eine große Maschine gebaut…

die Teilchenbeschleuniger am Cern…

…und seitdem arbeiten wir zusammen und mögen uns.

Wenn man mit Ihnen redet, hat man doch den Eindruck, dass Sie sehr stark überzeugen wollen. Ist es nicht eine Illusion, neutral bleiben zu wollen?

Ich will mich nicht in die Diskussion einmischen, ob Atomkraft wirklich nicht hingenommen werden kann. Aber die Leute sind häufig beliebig unaufgeklärt. Durch meine Heimatstadt durfte die Eisenbahn früher nicht fahren, weil es hieß, dass sie Feuer auf den Feldern verursacht und die Kühe zum Verkalben bringt. Es gibt viele Einstellungen in der Bevölkerung, die objektiv nicht richtig sind. Mir liegt etwas daran, dass die Leute so viel wissen, dass sie ihre eigene Einstellung finden können.

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2 Kommentare

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  • DW
    Dagmar Willhöft

    Schade, dass dieses Interview nur in der Ausgabe NORD und nicht bundesweit veröffentlich wurde. Ich meine, das war eine Fehlentscheidung Ihrer Redaktion.

  • E
    elmar

    "Aber die Leute sind häufig beliebig unaufgeklärt."

     

    Dazu gehört der blinde Gustav-Adolf Voss mit Sicherheit auch. Die nicht Blinden konnten beispielsweise am 13. 10. 2009 auf arte den exzellenten Film 'Albtraum Atommüll' sehen. Ein Besuch am / auf dem Columbia-River zeigte deutliche Ausschläge auf dem Geigerzähler. Denn es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass der Fluss radioaktiv verseucht ist. Der Fluss wurde in offenem Kreislauf (!) direkt als Kühlwasserspender und -ableiter verwendet. Selbstverständlich gibt es in der näheren Umgebung auch keine Städte, wie man leicht sehen kann, wenn man bei Google Earth 'Hanford Site' eingibt.

     

    Die verbreitet falsche Auffassung zu Halbwertzeiten ist allerdings bedauerlich. Die Zerfallsreihen bedeuten nämlich, dass sich nach einer charakteristischen Halbwertzeit alle radioaktiven Isotope in ANDERE radioaktive Isotope mit charakteristischen Halbwertzeiten umwandeln. Diese Umwandlungsprozesse, an denen man übrigens auch das Erdalter berechnet hat, enden schließlich nach Ewigkeiten in der Umwandlung zum nicht radioaktiven Element Blei.