: Straftat oder Bürgerpflicht
PROZESS Ab heute steht ein Heidelberger Friedensaktivist vor Gericht, weil er Mitarbeiter von Rüstungskonzernen zur Sabotage aufrief, die den Leopard-2-Panzer produzieren
MÜNCHEN taz | Weil er Flugblätter vor Rüstungskonzernen verteilt hat, steht der 49-jährige Friedensaktivist Hermann Theisen aus Heidelberg heute in München vor Gericht. Theisen hatte im Juni 2012 vor den Werkstoren von Krauss-Maffei Wegmann in München und bei Rheinmetall in Düsseldorf Flugblätter ausgegeben, auf denen stand: „Als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co KG sind Sie mittelbar oder unmittelbar an der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb von Leopard-2-Kampfpanzern beteiligt.“
Kurz zuvor war bekannt geworden, dass ebenjene Leopard-2-Panzer möglicherweise an Saudi-Arabien verkauft werden sollen. Es wurde befürchtet, dass dort mithilfe deutscher Panzer Demonstrationen und Aufstände niedergeschlagen werden könnten. Um das zu verhindern, forderte Theisen die MitarbeiterInnen in seinem Flugblatt zu „Boykott- und Sabotagehandlungen“ auf: „Streuen Sie Sand in das Getriebe, verzögern und verhindern Sie die auf den Waffendeal ausgerichteten betrieblichen Prozessabläufe.“
Weil er dadurch öffentlich zu Straftaten aufgefordert haben soll, hatte ihn das Münchner Amtsgericht zur Zahlung einer Geldstrafe von fünfzig Tagessätzen à 30 Euro aufgefordert. Dagegen hat Theisen Einspruch eingelegt. Vor Gericht wird nun geprüft, ob dieser rechtmäßig ist.
Gegenüber der taz beruft sich Theisen auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung. „Für mich als Bürger ist es unerträglich, dass eine Firma Panzer produziert, aber sich vor der Entscheidung drückt, ob deren Export illegal ist und in dieser Frage auf die Politik verweist“, sagt er. Wenn der Bundesssicherheitsrat, wie beim Thema Leopard 2, im Geheimen tage und damit die Auskunft gegenüber Politik und Gesellschaft verweigere, widerspräche das demokratischen Grundsätzen. „Unter den Mitarbeitern sollte eine Diskussion beginnen, ob das, was sie da tun, wirklich in Ordnung ist“, erklärt er.
Weit kam er mit seiner Aktion im Juni letzten Jahres nicht. In Düsseldorf wurde er des Platzes verwiesen. In München kam schon bald die Polizei und beschlagnahmte die Flugblätter. Sowohl in Düsseldorf als auch in München leiteten die Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren ein. Das Verfahren von Düsseldorf wurde an Theisens Wohnort Heidelberg verwiesen – und eingestellt. Die Begründung: „In dem Aufruf sind keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfolgbarer Straftaten zu erkennen.“ Die Staatsanwaltschaft München sah das offenbar anders.
„Das war eine spontane, gewaltfreie Aktion, ein Aufruf zum zivilen Ungehorsam“, sagt Theisen. Er habe sich nicht strafbar gemacht. Der Sozialarbeiter ist schon seit den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv. Er hat gegen Atomwaffen, die Volkszählung und den Kosovokrieg demonstriert. Dreimal war er deswegen bereits in Haft. Auch eine Hausdurchsuchung hat er hinter sich. Zwei Haftstrafen und die Hausdurchsuchung wurden im Nachhinein als rechtswidrig erklärt. Mit den entsprechenden Gerichtsverhandlungen kennt er sich aus. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die Richter am Amtsgericht nicht mit den Grundrechtsfragen, die hinter einem solchen Verfahren stehen, auseinandersetzen“, sagt Theisen.
Dass er verurteilt wird, ist wahrscheinlich. In diesem Fall will Theisen Berufung einlegen und den gesamten Rechtsweg bestreiten. In den übergeordneten Instanzen, hofft er, werden sich die Richter auch mit der Frage beschäftigen, ob ziviler Ungehorsam nicht gerade dann Bürgerpflicht ist, wenn demokratische Prinzipien wie im Fall einer möglichen Panzerlieferung an Saudi-Arabien umgangen werden.
MARLENE HALSER