Strafrechtlerin über Spätabtreibungen: "Das ist ein erneuter Angriff"
Die Strafrechtlerin Monika Frommel warnt vor einer Einschränkung des Abtreibungskompromisses. Sie befürchtet: Bei einer Gesetzesänderung gehen Frauen ins Ausland.
taz: Frau Frommel, der Bundestag entscheidet am Mittwoch über zwei Gesetzesentwürfe zu Abtreibungen nach der zwölften Woche. Für welche sollten sich die Abgeordneten entscheiden?
Monika Frommel: Der Entwurf der SPD-Politikerin Christel Humme ist eindeutig vorzuziehen. Denn er bleibt im Konzept des Abtreibungskompromisses von 1995. Damals wurde bewusst eine weit gefasste medizinisch-soziale Indikation geschaffen, wonach Arzt oder Ärztin entscheiden, ob die Fortsetzung der Schwangerschaft zumutbar ist, aber im Gespräch mit der Frau und unter Beachtung der Folgen für ihr künftiges Leben. Das war nach langen erbitterten Kämpfen ein weiser Kompromiss zwischen Lebensrecht des Fötus und Selbstbestimmungsrecht der Frau. Der Humme-Entwurf lässt diese Abwägung unangetastet und will nur die Beratung vor pränataldiagnostischen Maßnahmen verbessern.
Die Beratung verbessern will die Union zusammen mit einigen SPD-und Grünen-Politikerinnen auch. Was stört Sie so am Entwurf des CSU-Abgeordneten Johannes Singhammer?
Der Entwurf folgt Ärztevertretern, denen die weite Indikation nie passte. Und er folgt der Tradition, den Kompromiss in jeder Wahlperiode neu anzugreifen.
Wo genau sehen Sie diesen Angriff in dem Entwurf?
Abtreibungsärzte sind heute schon in einer schwierigen Situation, da sie von militanten Lebensschützern permanent belästigt und auch mit Strafanzeigen bedroht werden. Singhammer vestärkt gezielt diesen Druck. Nun drohen auch noch berufsrechtliche Verfahren und Bußgelder, wenn jemand meint, der Arzt habe die Indikation "falsch" gestellt oder nicht ausreichend beraten. Ärzte werden dieses Risiko künftig noch stärker vermeiden, also eher keine Indikation mehr stellen. Dann müssen noch mehr Frauen in einer ohnehin schrecklichen Situation in die Niederlande oder nach Österreich fahren, wo die Praxis liberaler ist. Dass ausgewiesene Frauenpolitikerinnen der SPD, Renate Schmidt und Kerstin Griese, einige Grüne und sogenannte Liberale dies auch noch unterstützen, ist bemerkenswert.
Renate Schmidt bezieht sich auf Frauen, deren Ärzte sie nach einer auffälligen Diagnose geradezu zur Abtreibung gedrängt hätten. Sie sagen, die Ärzte würden sich kaum bereit erklären, eine solche Indikation zu stellen. Was stimmt denn nun?
Es gibt diese Einzelfälle, aber sehr viel häufiger das Gegenteil: Frauen finden keinen Arzt, der eine Indikation stellt. Ich verstehe dies, denn ich vertrete regelmäßig Ärzte, die von Lebensschützern belästigt und mit Strafanzeigen bedroht werden. Sehen Sie sich nur die illegal ins Netz gestellten Listen von Abtreibungsärzten an, unter dem Stichwort "babycaust". Keine empirische Erhebung belegt, dass Frauen zur Abtreibung gedrängt werden. Auf der Basis von Einzelfällen kann man aber keine Gesetze machen.
Aber es gibt eine Studie, nach der eine große Zahl Schwangerer sich schlecht beraten fühlt.
Das kann daran liegen, dass in Einzelfällen vor der Diagnostik nicht ausführlich genug informiert worden ist. Keine Frau sollte unvorbereitet mit einem auffälligen Befund überrascht werden. Aber eine Beratung nach dem Befund ist viel zu spät. Nach einem auffälligen Befund muss man vielmehr sehr flexibel reagieren: Die eine Frau braucht eine Krisenintervention. Eine andere, die bereits ein behindertes Kind hat und kein zweites mehr versorgen kann, fühlt sich durch eine unerwünschte Beratung bedrängt. Wenn die Beratung besser werden soll, muss man die Zusammenarbeit besser organisieren und nicht Gesetze ersinnen, die das Gegenteil bewirken. Dass Frauenpolitikerinnen dies in Kauf nehmen, ist schändlich.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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