piwik no script img

Stopfen gegen die Dürre

Alte Drainagen aus DDR-Zeiten ziehen Brandenburg die Feuchtigkeit aus den Böden. Biobauern suchen nun Wege, das Wasser aufzufangen

Melioration in der DDR: Um die Produktion zu steigern, wurden Moore trockengelegt und Flüsse begradigt Foto: Berliner Verlag/dpa

Von Antonia Groß

Jan Sommer erinnert sich noch gut an jene Nacht. Die Nacht, in der er mit seinem Trecker gegen einen Hydranten gekracht ist. Es war irgendwann in den Dürrejahren 2018 oder 2019. Er musste, wie so oft in dieser Zeit, bis in die frühen Morgenstunden seine Äcker bewässern, Regen fiel damals kaum. Die Nacht, in der Biobauer Sommer so müde war, dass er am Steuer eingenickt ist, wurde zum Schlüsselerlebnis. „Mein Trecker war kaputt, der Hydrant war kaputt und ich dachte nur: Dieses fehlende Wasser überfordert mich“, sagt er.

Als er von dem Vorfall erzählt, sitzt Sommer auf einer schattigen Bank auf seinem Hof in Dahmsdorf in der Märkischen Schweiz in Brandenburg. Seine Augen sind gerötet. „Ich bin noch ein bisschen durch den Wind“, murmelt er und rückt seine Brille zurecht. Es ist Ende September 2024, wieder hat er bis spät in die Nacht bewässert. In den vergangenen Jahren hat er sich oft gefragt, ob er seinen Betrieb unter den Bedingungen extremer Trockenheit halten kann. Bis Sommer die Drainagen entdeckt hat.

Felddrainagen sind Rohrsysteme aus Ton, Kunststoff oder Beton, die unter vielen landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland liegen. Sie bilden ein unterirdisches Netz, oft in Fischgrätenform, das Regenwasser auffängt, in Schächte führt und dann über Gräben, Bäche und Flüsse ableitet. In Brandenburg wie in der gesamten ehemaligen DDR wurden sie im Rahmen der sogenannten Melioration großflächig verlegt. Unter Melioration verstand man damals Maßnahmen, um landwirtschaftliche Flächen wieder nutzbar zu machen. Feuchte Böden wurden entwässert und begradigt, um die Produktion zu steigern.

Das Problem: Viele der alten Rohre leiten Regenwasser weiterhin ab. Heute fehlt dieses Wasser den Böden, die Umgebung trocknet aus. Denn der Klimawandel ist längst spürbar. Extreme Trockenperioden nehmen zu. Im Winter 2024/25 fiel in Brandenburg bundesweit am wenigsten Niederschlag. Auch der Sommer 2025 wird wieder heiß und trocken.

Viele Drainagen leiten das Wasser ab, bevor es in tiefere Bodenschichten sickern kann. Dadurch fehlt das Wasser nicht nur auf Äckern, auch das Grundwasser wird knapp. Wie viel Wasser den Böden tatsächlich verloren geht, weiß niemand so genau. Auch wie viele der alten Rohrsysteme noch funktionieren und wo sie überhaupt liegen, ist ein Rätsel. In Brandenburg allein dürften sie mehrere Hundert Kilometer lang sein.

Jan Sommer bewirtschaftet 70 Hektar Land. Als Biobauer war er lange überzeugt, zu „den Guten“ zu gehören. Doch als er die Drainagen unter seinen Feldern entdeckte, zweifelte er daran, ob ökologische Anbaumethoden genug zum Klimaschutz beitragen. Laut Sommer flossen selbst an den trockensten Sommertagen mehr als 200 Kubikmeter Wasser täglich durch einen Abfluss ab, zu dem auch die Rohre unter seinem Land führten. So viel Wasser passt ungefähr in 1.000 volle Badewannen. Eine bittere Erkenntnis, aber eine, die ihn dazu brachte, ein Experiment zu starten.

Mit alten Karten und GPS-Daten stieß er auf einen Entwässerungsschacht, 80 Zentimeter unter der Erde. Dort floss ein Teil des Rohrsystems zusammen. Mithilfe von Naturschützer*innen, Hy­dro­lo­g*in­nen und Ar­bei­te­r*in­nen verschloss er den Schacht. „Das Freilegen der Rohre fühlte sich an wie eine archäologische Ausgrabung. Es war faszinierend und brutal zugleich“, sagte Sommer 2024.

Ein knappes Jahr später sind die positiven Effekte auf dem Ackerland deutlich zu erkennen, erzählt Sommer Anfang Juli am Telefon. In der Nähe des verschlossenen Drainageschachts haben der Landwirt und sein Team eine Grube ausgehoben, ein „Soll“, in dem sich über den Herbst und Winter Wasser sammeln konnte. Noch jetzt sei eine kleine Pfütze zu sehen – und das, obwohl es in diesem Sommer ähnlich heiß und trocken ist wie 2018 und 2019.

Das Soll habe die umliegende Fläche mit Feuchtigkeit versorgt. Pflanzen, Vögel und Amphibien profitieren von dem wiederhergestellten Lebensraum. Von den 200 Kubikmetern, die vorher aus dem Rohr abflossen, kann er etwa 80 Kubikmeter im Boden halten. „Rechnet man das hoch, sind das für die Landschaft relevante Größen“, sagt Sommer.

Fachleute und Interessenverbände kommen inzwischen vorbei, um sich die Effekte der verstopften Rohre anzuschauen, denn die unterirdischen Drainagen sind sonst selten sichtbar. „Man kann jetzt mit eigenen Augen sehen, dass das Gesamtsystem Wasser in ein Defizit kommt“, so Sommer.

Land­wir­t*in­nen müssten verstehen, dass der Wasserrückhalt ein erster Schritt in Richtung „klimafitte“ Landwirtschaft sei. Viele seien zögerlich, denn der Umbau erfordert Zeit, Geld und Planung. Baustellen, während derer die Felder nicht nutzbar sind, können oder wollen sie sich nicht leisten. Auch gehört das Land in den meisten Fällen nicht den Land­wir­t*in­nen selbst, die Ei­gen­tü­me­r*in­nen müssen zustimmen. Dazu kommt: Viele Land­wir­t*in­nen wissen es nicht einmal, wenn Drainagen unter den Äckern liegen.

Der Landesbauernverband Brandenburg nennt auf Anfrage keine Zahlen zur Menge, Länge oder den Auswirkungen von Felddrainagen. Wie viele Land­wir­t*in­nen Drainagen unter ihren Feldern stilllegen, sei auch ihnen nicht bekannt.

Der Naturschutzbund Nabu Brandenburg sieht in Felddrainagen einen direkten Schaden für das Grundwasser, das in Brandenburg ohnehin schon unter Stress steht. Niederschlag müsse dringend gespeichert werden, damit sich neues Grundwasser bilden kann, sagt Björn Ellner, Leiter des Nabu Brandenburg. „In Brandenburg, wo mehr Wasser verdunstet als nachkommt, zählt jeder Tropfen.“

„Es ist, als ob ich mich darum kümmere, dass möglichst viel Wasser in den Teich kommt, aber der Stöpsel ist nicht zu“

Jan Sommer, Biobauer

Um gegen Felddrainagen vorgehen zu können, hat der Nabu Brandenburg ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Viele alte Drainagen in Brandenburg könnten demnach illegal sein. Das Gutachten verweist auf das Wasserhaushaltsgesetz, das vorschreibt, dass für die Einleitung von Wasser in Flüsse oder Gräben eine Genehmigung erforderlich ist. Genehmigungen aus DDR-Zeiten seien aber in der Regel abgelaufen. „Da es sich um ein politisch brisantes Thema handelt, schreitet die Verwaltung nicht ein“, sagt Ellner.

Jan Sommer hat das Thema Drainagen im Kreistag angesprochen, doch niemand habe darüber reden wollen. „Mach kein Problem daraus“, habe man ihm gesagt. Das habe ihn an frühere Diskussionen erinnert, in denen er argumentieren musste, dass es den Klimawandel wirklich gibt.

Verantwortlich für die Drainagen sind die Grund­stücks­ei­gen­tü­me­r*in­nen. Wer über die Rohre Wasser in Flüsse oder Bäche leitet, braucht eigentlich eine Erlaubnis. Kontrollieren sollen das die Unteren Wasserbehörden in den Landkreisen – kommunale Ämter, die dafür zuständig sind, Gewässer zu schützen und ihre Nutzung zu überwachen. Doch auf Nachfrage wissen viele der Unteren Wasserbehörden in Brandenburg nicht einmal, ob es in ihrem Kreis genehmigte Drainagen gibt.

Wer herausfinden will, wo die Drainagen verlegt wurden, muss auf verstaubten Papierkarten in den Archiven der Wasser- und Bodenverbände (WBV) suchen. Die sind für wasserwirtschaftliche Aufgaben im öffentlichen Interesse zuständig, etwa für die Pflege von Gewässern. Mehr als 20 dieser Verbände gibt es allein in Brandenburg, jeweils zuständig für Teile einzelner Landkreise. Sie lagern zwar die Karten, doch digitalisiert sind kaum welche davon. Für die Instandhaltung der Drainagen sehen auch sie sich nicht verantwortlich.

Viele Verbandsvorsitzende schreiben, sie hätten nur „sporadisch“ oder „vereinzelt“ Kenntnis darüber, wo in ihrem Gebiet Drainagen verlegt wurden. Manche wagen Schätzungen zu den verlegten Rohren. So schreibt der Wasser- und Bodenverband Rhin-/Havelluch, dass dort mehr als 5.000 Kilometer Rohre liegen müssten. Frank Schröder, Leiter des WBV Prignitz, spricht von rund 24.000 Kilometern allein in seinem Zuständigkeitsbereich. Das ist länger als eine halbe Erdumrundung.

Wie viel Wasser den Böden durch die Drainagen verloren geht, weiß niemand genau Foto: Antonia Groß

Ein konkretes Bild ergibt sich nur dort, wo ausnahmsweise Daten vorliegen, wie in der Märkischen Schweiz in Brandenburg. Am Rande eines Maisfeldes, nur wenige Kilometer von Jan Sommers Hof entfernt, ragt ein Rohr aus der Erde, aus dem unaufhörlich Wasser strömt. Alle zehn Sekunden sind hier im Messzeitraum von einem Monat im Schnitt rund zwei Liter Wasser abgeflossen. Das zeigen Daten des Landesamts für Umwelt in Brandenburg (LfU) von 2024. Messungen wurden möglich, weil hier noch alte DDR-Karten existieren und durch Erosion Rohre freigelegt worden sind, erklärt Thomas Frey, Sprecher des LfU Brandenburg.

Das Pilotprojekt läuft seit Januar 2023. Fachleute messen an ausgewählten Stellen, wie viele Liter Wasser pro Minute aus den Drainagerohren fließen, so wie hier unter dem Maisfeld. Eine Auswertung der Daten, etwa in Zusammenhang mit den Witterungsverhältnissen, steht noch aus.

Jan Sommer versucht, jeden Tropfen Wasser im Boden zu halten. Doch solange die Drainagen weiter Wasser ableiten, bringen andere Maßnahmen kaum etwas. „Es ist, also ob ich mich darum kümmere, dass möglichst viel Wasser in den Teich kommt, aber gleichzeitig ist der Stöpsel nicht zu“, sagt Sommer. Für ihn sind die Drainagen unter seinen Feldern deshalb das drängendste Problem.

In Extremwetterphasen wie jetzt werde besonders deutlich, dass wir uns in einem „Korridor“ befinden, sagt Sommer. Maßnahmen zum Wasserrückhalt seien ein „großer Kraftakt“, die Verunsicherung unter Land­wir­t*in­nen sei groß. Und die Zeit drängt. Die Möglichkeit, mit Landwirtschaft zum Klimaschutz beizutragen, gibt Jan Sommer trotzdem nicht auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen