piwik no script img

Stoffwellen und goldene Engel

■ Uraufführung der „Drei Wasserspiele“ von Detlev Glanert am Bremer Theater

„Erstaunlich, es hat niemand die Türen geschlagen. Na ja, war ja auch kurzweilig und richtig schöne Musik“, meinte eine Besucherin nach der Uraufführung von Detlev Glanerts „Drei Wasserspiele“ im Concordia-Theater, die das Bremer Theater als letzte zeitgenössische Musikproduktion in dieser Saison herausgebracht hat. Der 1960 geborene Detlev Glanert stellt sich trotz seiner „schönen Musik“ keineswegs außerhalb eines Avantgarde-Begriffs. Der Schüler von Hans Werner Henze bejaht den ästhetischen Pluralismus der neunziger Jahre: „Alles ist da und alles ist richtig,“ hat er in einem Interview gesagt. Der Einsatz aller musikalischen Parameter - etwa Form und Tonalität - zugunsten eines direkten Verständnisses ist für Glanert wie auch für andere Komponisten seines ästhetischen Umfeldes nicht nur erlaubt, sondern stilbildend.

Für seine jetzt uraufgeführte Komposition - ein Auftragswerk des Bremer Theaters - fand er in den Dreiminutenspielen von Thornton Wilder, von denen der Schriftsteller über vierzig verfaßt hat, die richtige Vorlage für seine Vorlieben: Artistik und Verkleidung, prägnante Kürze, Wortverständlichkeit in der Gattung Oper und Symbolgehalt der Materialien.

In diesem Fall geht es ums Wasser, alle drei Stücke spielen in und ums Wasser; in allen dreien geht es um Hoffnung. „Leviathan“ spielt in der Renaissance: Nach einem Schiff- bruch will die Meerjungfrau Brigomeide gerne die Seele des im Wasser treibenden Prinzen sehen und besitzen. „Der Engel, der das Wasser bewachte“ zeigt - nach der biblischen Legende des heilenden Teiches von Bethseda - am Wasser heilungssuchende Menschen, und „Der Engel auf dem Schiff“ ist ein Symbol für die gestrandeten Menschen.

Die szenische Umsetzung ist insofern gelungen, als sie gar nicht erst versucht, groß zu deuten: Das Bühnenbild und die szenischen Auftritte halten sich weitgehend genau an die Wildersche Textvorgabe. Da steht ein wunderschön entworfenes Wasser im Mittelpunkt: Richtige Wellen gibt es da und die flimmernde Ruhe einer spiegelnden Oberfläche. Der Bühnen- und Kostümbildner Giovanni Carluccio scheut nicht vor einer lustvollen und naiven „Realität“ zurück, wenn seine Stoffsee tobt, der Engel mit großen goldenen Flügeln erscheint, die Meerjungfrau mit ihren grünen Flossenhänden durch die Wellen gleitet oder auch Brokatstoffe und Gewürze im Meer treiben. Das ist alles so liebevoll und damit suggestiv gemacht, daß man sich dem Spiel gerne überläßt. Der Regisseur Mark Daniel Hirsch entspricht mit seiner konzentrierten Personenführung diesem direkten, unverschlüsselten Ansatz: Johanna Stinnez (Sopran), Evan Bortnick (Tenor) und Loren Christopher Lang (Bariton) zeigen vor allem im karikaturalen „Engel auf dem Schiff“ mitreißende Leistungen. Die allen drei Stücken gemeinsamen Ebenen Realität und Hoffnung, die Gegensätze Mensch und Fabelwesen, Mensch und Engel, Mensch und Götzenbild werden in aller Einfachheit höchst unterhaltsam getroffen.

Glanert hatte in einem Interview gesagt, daß er kleine Besetzungen wegen der damit eher möglichen Textverständlichkeit liebe. Dem kommt er hier nun doch nicht so ohne weiteres nach: der puccinihafte Gesang ist häufig nicht zu verstehen.

Glanerts handhabt virtuos den Formenkanon der Musikgeschichte. Umgesetzt wird die symbolische Zahl Drei: zum Beispiel drei Sänger und je drei Vertreter einer Instrumentengruppe. Catherine Rückwardt leitete engagiert und kompetent die Neunertruppe der Bremer Philharmoniker, die dekorativ auch „im Wasser“ saßen.

Neue Musik? Nicht nur die Zeiten, in denen man entsetzt das Theater verließ, scheinen endgültig vorbei, auch die Zeiten, in denen eine künstlerische Aussage noch im besten Sinne weh tut, unter die Haut geht, zum Nachdenken anregt, muß man heute suchen. Aber es wäre falsch, Glanert an einem Anspruch zu messen, den er gar nicht stellt.

Ute Schalz-Laurenze

Weitere Aufführungstermine:19., 25., 26. und 31. Mai.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen