Stieg Larssons Millenium-Trilogie: Larsson lesen und lassen
Verdammt! - Vergebt mir! Sie war meine ganz persönliche Verblendung des Jahres: Die Millennium-Trilogie des schwedischen Krimischriftstellers Stieg Larsson.
Sein Engagement: Stieg Larsson war vielseitig. Er verfasste Texte von Features bis Romanen, fotografierte, engagierte sich politisch, gab Zeitschriften heraus, betätigte sich als Künstler. Darüber hinaus galt der Schwede Zeit seines Lebens als einer der führenden Experten für Rechtsextremismus und Neonazismus.
Seine Arbeit: Larsson, geboren 1954 im schwedischen Umeå, war schon in seiner Jugend Mitherausgeber verschiedener Science-Fiction-Magazine und später Vorsitzender der schwedischen Science-Fiction-Vereinigung. Während er später hauptberuflich bei der Post arbeitete, betätigte er sich nebenher als Autor. Sein erstes langfristiges journalistisches Engagement fand er 1980 bei der führenden schwedischen Nachrichtenagentur TT, für die er neunzehn Jahre lang tätig war. Larsson engagierte sich im Kampf gegen Rechtsextremismus. Unter anderem baute er Mitte der Achtzigerjahre das Antigewaltprojekt "Stopp den Rasissmus" mit auf. 1995, als Rechtsextremisten in Schweden mehrere Morde begingen, gründet er die Expo-Stiftung, zu der auch das gleichnamige, antifaschistische Magazin gehört. Später wurde er zum Chefredakteur des Magazins.
Seine Bücher: Die Bücher seiner Millennium-Triologie wurden erst nach seinem Herztod 2004 veröffentlicht und bald ein internationaler Erfolg. In ihnen verarbeitet Larsson unter anderem seine Kenntnisse zum Thema Extremismus. Larssons Debütroman "Verblendung" wurde 2005 vom schwedischen Buchhandel zum besten Buch des Jahres gewählt, ein Jahr später erhielt er dafür posthum den skandinavischen Krimipreis. SVE
Wenn man schon mal als erwachsener Mann und Sachbuchleser ein Buch literarischen Inhalts nicht mehr aus der Hand legen mag, so kann man das als Gnade begreifen. So ging es mir in diesem wunderbaren Sommer mit Stieg Larsson.
Falls jemand die letzte Zeit auf einem fernen Planeten verbracht hat: Der schwedische Journalist und Schriftsteller Larsson hatte gerade noch drei Kriminalromane um den Journalisten Mikael Blomkvist und die Internet-Hackerin Lisbeth Salander geschrieben, als er 2004 an einem Herzinfarkt starb. Mit 50. Also ein klassischer Journalistentod. Diese Millennium-Trilogie wurde posthum veröffentlicht und ein internationaler Erfolg. Deutsche Titel: Verblendung, Verdammnis, Vergebung. Die ersten zwei gibt es bei uns schon als Taschenbuch - Vergebung ist noch als gebundene Ausgabe erhältlich, erscheint aber auch 2009 als Taschenbuch.
Der Plot: Toller, aufrechter Journalist in tollem, aufrechten Politmagazin kämpft allein gegen Wirtschaftsschweine, Nazis, Regierung und legt nebenbei zur Entspannung unverbindlich Frauen flach: War das nicht wie für mich gemacht? Ich las Larsson wie in alten Zeiten Max Frisch, Frank Schulz und Matthias Politycki. Freute mich schon auf den Abend, stahl tagsüber Zeit dafür, also kurz gesagt: Die wunderbare Welt des Lesens war plötzlich zurück. Wenn es dann auch noch zwei Folgebände gibt, umso besser. Was für ein Leben!
Ich war mitten im zweiten Band, als ich in einer Konversation mit dem Wuppertaler Mediävistikprofessor Eckhard Freise meine Lektüre erwähnte. Freise hat ja Hoch- und Populärkultur als Millionengewinner im RTL-Fernsehquiz von Günther Jauch versöhnt. (Die Hochkultur sieht das wohl anders, aber das ist ihr Problem.)
Jedenfalls dachte ich, der stünde da auch drauf. Tat er nicht. "Alles besser als das monoton redundante und dröge Knäcke-Wasa, was dem Liebhaber humorfreier skandinavischer Krimis in Gestalt der Blomkvist-Salander-Trias zugemutet wird", sagte er. "Das sind dicke Bücher, die tödlich wirken - nicht nur, wenn sie geworfen werden."
Erst in diesem Moment merkte ich, dass ich tatsächlich selbst längst angefangen hatte, mich zu langweilen.
Die weitere, "kritische" Lektüre ergab Folgendes: Die Charaktere sind sehr glatt und eindimensional. Das fängt schon damit an, dass Blomkvist von allen nur "Kalle" genannt wird. Weil er Blomkvist heißt, wie Astrid Lindgrens Meisterdetektiv. (Und eigentlich ja auch dieser Kalle B. ist - in der grausamen Welt des 21. Jahrhunderts?)
Blomkvist ist ein Journalist, der komplett in seiner Arbeit aufgeht und es ansonsten seit 20 Jahren mit derselben Kollegin treibt (bequem) und mit allem, was ihm sonst so über den Arbeitsweg läuft. Aber nur wenn seine Arbeit ihm Zeit dafür lässt. Weil er sich nicht für Frauen interessiert (nur für Entspannungssex zwischen der Arbeit), ist es sehr convenient, dass sämtliche Frauen sofort und ohne unangenehme Verzögerungen mit ihm ins Bett gehen, aber am nächsten Morgen brav verschwinden, ohne die gefürchtete Zahnbürste im Bad zu hinterlassen.
Was Blomkvist antreibt, ist das Gute. Wie langweilig. Wie überhaupt alle Guten nur gut sind - und alle Bösen böse. Ausnahme und daher potenziell spannendster Charakter ist Lisbeth Salander, dieses psychisch labile Internetgenie. (Bei Lindgren heißt Kalle Blomkvists Freundin übrigens Eva-Lotte Lisander. Got it? LISbeth-SalANDER!)
Aber leider, nach 200 Seiten verliebt sich der potenziell interessante, weil andere Charakter in Blomkvist. Die restlichen tausenden von Seiten tut sich bei Frau Salander nichts mehr, außer dass sie sauer auf ihn ist. (Spricht das für das ansonsten von Larsson kolportierte Frauenbild? Noch mal drüber nachdenken.)
Die Kollegin von Blomkvist (Erika Berger) lebt in einer als glücklich beschriebenen Ehe mit einem Künstler und treibt es mit Blomkvist, wann immer er oder sie Zeit haben und nicht zu müde sind von der Arbeit für das Gute.
Der Berger-Ehemann-Charakter bleibt komplett blass. Ruft sie an und sagt, dass sie heute nicht kommt (weil sie bei Blomkvist kommt), findet er das super.
Toll, dass so was überhaupt noch gedacht werden kann. Oder vielleicht sogar in Schweden gedacht werden muss- aus Gründen der gesellschaftlichen Moderne? Aber: Ein bisschen genauer möchte man schon wissen, wie sich das emotional so ausgeht mit diesem Dreieck der ungetrübten Freude.
Larsson war Autor und Herausgeber des antifaschistischen Magazins Expo. Die Zeitung von Blomkvist und Berger ist ein kleines, unabhängiges Magazin, das die größten Schweinereien Schwedens aufdeckt, während alle anderen schweigen. Das machen sie mit drei Journalisten und einer Sekretärin. Toll. Aber wer bei einer großen Zeitung arbeitet und sich täglich um eine auch nur pupskleine exklusive Geschichte müht, muss an der Qualität der eigenen Arbeit verzweifeln. Berger wird dann Chefredakteurin eines angesehenen Mainstreamblatts, macht also Karriere. Aber das Unternehmen ist erstens nicht reformierbar und zweitens nur ökonomisch interessiert.
Desillusioniert, aber doch auch glücklich kehrt sie zurück zu ihrem heimeligen Widerstandsblatt. Dort war übrigens zwischenzeitlich die Sekretärin Chefin geworden (Blomkvist wollte lieber arbeiten und ließ sich eh nichts sagen.) Die Sekretärin macht ihre Sache gut, tritt aber ihrerseits glücklich und einsichtig zurück an den Katzentisch. Weil die andere Frau einfach toller ist. Wer kennt solche Frauen nicht auch?
Das ist also die Welt, die Stieg Larsson der realen Welt entgegengesetzt hat. Eine schöne Welt, man soll das nicht zynisch abtun. Ein wenig wie früher in den Staaten üblich, die Literatur zur ideologischen Erbauung ihrer Eingeschlossenen veranstaltete. Nur dass bei Larsson der Staat auch böse ist.
So liest sich Larsson als Peptalk für die letzten aufrechten Linken in einer schlimmen, durchkapitalisierten Welt. Da ist es konsequent, dass die Großindustriellen und Wirtschaftsbosse allesamt Kriminelle und Irre sind, die ihre Töchter schänden und ansonsten in Kellerverließen andere Menschen zu Tode foltern. (Metapher beachten!)
Wirtschaftsschweinereien, Nazis, Medienschweine: Und alles komplett ohne Ironie und ohne Witz erzählt. Ich würde dennoch nicht so weit gehen, wie Professor Freise, der sagt: "Heiliger Kolportagius, gut, dass du deine Blomkvist-Salander zu dir genommen hast."
Da ich alle drei Bände freiwillig gelesen und erst im zweiten gemerkt habe, was abgeht, richtet sich die Kritik in erster Linie gegen mich. Verdammt! Ich war verblendet. Vergebt mir.
P.S. Bei "Californication" habe ich es bereits in Folge eins kapiert. (Aber den Rest trotzdem geschaut.)
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