: Steuer-Schmankerl für Bayerns Unternehmer
Warum Bayern auf Millionen verzichtet, die ein paar mehr Steuerfahnder hereinholen könnten ■ Aus München Felix Berth
Heinrich Finke* ist Steuerfahnder im Münchner Finanzamt und einer der produktivsten Beamten im Freistaat. Im letzten Jahr sorgte seine Arbeit dafür, daß der Staat 1,5 Millionen Mark zusätzlich einnahm – 1.500.000 Mark Steuern, die Privatleute oder Unternehmen eigentlich nicht zahlen wollten und deshalb auf Konten in Luxemburg oder anderswo verschwinden ließen. Trotz seiner enormen Produktivität ist Heinrich Finke für seinen Arbeitgeber billiger als jeder leitende Angestellte in einem Unternehmen: Er liegt in der Gehaltsgruppe A 11 und kostet mit allen Zuschlägen und Sozialabgaben weniger als 70.000 Mark im Jahr. Bleibt also ein Plus von über 1,4 Millionen, das der Fahnder hereinholt.
Heinrich Finke ist allerdings ziemlich überlastet. Im letzten Jahr hat er etliche Banken durchsucht – unter anderem Filialen der Dresdner Bank und der Hypo-Bank- Tochter H. C. M. (Hypo Capital Management), weil diese ihren Kunden geholfen haben sollen, Bares am Fiskus vorbei ins Ausland zu bringen. Allein die Durchsuchung bei H. C. M. lieferte Finke und seinen Kollegen 650 Fälle von vermuteter Steuerhinterziehung, die jetzt genauer untersucht werden müssen.
Insgesamt ist die Arbeit der fünfzig Münchner Steuerfahnder in den letzten Jahren schneller gewachsen als alle Haushaltslöcher: Über 3.000 Fälle mußten die fünfzig Steuerfahnder 1995 bearbeiten. Im Jahr zuvor hatte man noch 1.700 gezählt – was schon damals ein Rekord war. Neue Stellen? Bisher Fehlanzeige, denn der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber redet gerne vom „schlanken Staat“. Mehr Personal für die Steuerfahndung war da bisher nicht drin – auch wenn die fünfzig Fahnder im letzten Jahr 72 Millionen Mark hereinholten.
Das Ergebnis ist schnell erzählt. Kleinere Fälle, die auf den ersten Blick nur ein paar tausend Mark zusätzliche Steuern versprechen, bearbeitet Finke nicht mehr: „Man nimmt das Große und läßt den Rest liegen“, sagt der Steuerfahnder resigniert. Daß sich auch seine Kollegen wegen Überlastung von diesem Prinzip leiten lassen, läßt sich in den internen Akten der Steuerfahnder nachlesen. So hieß es im letzten Jahresbericht für 1994: „Die – normale – Steuerhinterziehung, also der Ermittlungsfall mit Mehrergebnis bis 100.000 Mark, wird im Regelfall nicht mehr verfolgt.“ Und der aktuelle 95er- Report schätzt die Lage kaum besser ein: „Insbesondere die Langwierigkeit der Bankenermittlungen (...) führte (...) dazu, daß das steuerliche Mehrergebnis nur gering über dem des Vorjahres lag.“
Nun ist der vertrauliche Bericht der Steuerfahnder nicht so zu verstehen, daß Steuerhinterziehung in Bayern jetzt gefahrlos wäre. Denn wenn Heinrich Finke einen Fall aus Zeitmangel nicht bearbeiten kann, gibt er ihn weiter – an die Betriebsprüfer, die Lohnsteuer-Außenprüfer oder andere Dienststellen des Finanzamts.
Doch diesen Stellen fehlen die Kontrollmöglichkeiten eines Steuerprüfers: „Wenn einer von uns kommt, ist das eine Hausdurchsuchung“, sagt Finke, „aber wenn ein Betriebsprüfer kommt, muß er erst höflich fragen, ob er einen Kontoauszug sehen darf.“ Der Jahresbericht von 1994 der Münchner Steuerfahnder endet denn auch mit einer klaren Forderung: „Eine Verdoppelung des Personals binnen fünf bis sechs Jahren ist unabdingbar.“
Fragt man Finke, wieso der Staat sich diese Einnahmen entgehen läßt, findet er nur eine Erklärung: „Dahinter steht die Überlegung, daß man die Kuh nicht schlachtet, die man melken will.“ Im Klartext: Eine besondere Spielart der Wirtschaftsförderung verhindert, daß die Unternehmer so viele Steuern zahlen, wie sie eigentlich müßten. Deshalb ist der Personalschlüssel bei den Steuerfahndern chronisch niedrig, deshalb sind auch die Betriebsprüfer so wenige, daß sie einen bayerischen Kleinbetrieb im Schnitt nur einmal in 25 Jahren überprüfen können.
So deutlich wagt das freilich kein Politiker zu formulieren – nur Franz Josef Strauß sprach die Idee vor gut zehn Jahren im Bayernkurier einmal aus: „Wie viele mittelständische Existenzen können sich nur über Wasser halten, weil nicht alle Einkünfte dem Finanzamt bekannt sind?“ Seine Schlußfolgerung damals: „Da hilft nur eines: die Planstellen vermindern.“
Doch auch wenn die Ideen von Strauß in der Finanzverwaltung noch wirken, scheint sich langsam etwas zu ändern. Denn zum einen hat die bayerische SPD das Thema entdeckt – und ihr großer Vertreter der kleinen Leute, Georg Kronawitter, ist vor kurzem öffentlichkeitswirksam in Steuerstreik getreten: „Das bayerische Prinzip lautet wohl: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen.“ Solange das nicht geändert werde, will Kronawitter Steuerforderungen des Finanzamtes einfach übersehen.
Zum anderen hat Bayerns neuer Finanzminister Erwin Huber (CSU) erkannt, daß die bayerische Laxheit schlecht wirkt. Huber, ein ehemaliger Steuerbeamter mit einem Blick für politische Risiken, hat „aus Gründen der Gerechtigkeit“ angekündigt, daß den Steuerfahndern zwanzig Prozent mehr Stellen zugeteilt werden. Die Fahnder werden jetzt allmählich ausgebildet und in den nächsten Jahren eingesetzt – so daß sich die Situation etwa 1998 bessern dürfte. Bis dahin, sagt Heinrich Finke, „muß man sich als Steuerfahnder wohl mit der miseralben Situation abfinden“. * Name geändert
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