■ Steglitzer Spiegelwand enthüllt: Schön, elegant, traurig
Fast so, als ob sie etwas gutzumachen hätten, legten gestern einige Minuten vor der Enthüllung der Steglitzer Spiegelwand der Bezirksbürgermeister von Steglitz, Herbert Weber, sowie die Bezirksparlamentsvorsteherin Blumen vor das Denkmal. Anschließend verschwanden sie mit versteinerten Gesichtern in der Menge.
Und wie versteinert beobachtete auch der Steglitzer FDP-Fraktionsführer Sonning Augstin den Festakt. Hätte Ignatz Bubis ihm nicht telefonisch Parteisolidarität und Räson eingebleut, Augstin wäre vielleicht lieber mit dem – gestern nicht anwesenden – Steglitzer Baustadtrat Frank Rögner-Francke (CDU) Kaffee trinken gegangen. Bei Croissants und Cognac hätte sich so schön noch einmal bilanzieren lassen, daß es doch eine große antidemokratische Schweinerei war, wie letzten Sommer der Senat die Bezirksautonomie mit Füßen trat und in „diktatorischer Manier“ entschied: Basta, die Spiegelwand wird gebaut, mögen die wackeren CDU/FDP/Rep- Bezirkspolitiker auch noch so schreien. Bis in die allerletzte Minute hinein hatte die schwarz-gelb-braune Verhinderungsallianz versucht, noch zu retten, was ihrer Meinung nach zu retten war. Zuletzt wollten sie mit behördlichen Auflagen über die Anordnung der Marktstände das ungeliebte Denkmal weiter an den Rand rücken.
Aber alles vergeblich. Und Gott sei Dank. Etwa 1.000 Menschen, darunter viel sozialdemokratische und grüne Prominenz, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, eine Abordnung aus der israelischen Partnerstadt von Steglitz, Kirjat Bialik, einige ins Exil geflohene ehemalige Steglitzer Bürger und sehr viele Schüler waren gestern dabei, als die verhüllenden weißen Laken sehr feierlich von der umstrittenen Edelstahlwand gezogen wurden. Bausenator Wolfgang Nagel hielt die beste Rede seines Lebens, daran erinnernd, daß die Verschwundenen einmal genauso leben und arbeiten wollten wie heute die, die beim Vorbeigehen ihr Bild hinter den Namen der Deportierten erkennen. Die Spiegelwand ist alles: schön, elegant, traurig. Vor allem: Sie läßt niemanden gleichgültig. Und so hat – vom Mond aus gesehen – auch der bizarre Streit sein Gutes gehabt. Von einer „Entsorgung“ der Vergangenheit durch pflichtschuldiges Abhaken eines Bauauftrags kann bei diesem Mahnmal nicht die Rede sein. Anita Kugler
Bericht Seite 5
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