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Stefan Hunglinger sichtet die sozialen Bewegungen der Stadt

Wie skandalös die Situation von Obdachlosen in Berlin ist, dringt nicht wirklich ins Bewusstsein, weder ins persönliche noch ins politische. Dabei spielt sich jetzt im Winter dieser Skandal vor aller Augen ab, ist sichtbar an jedem U-Bahnhof. Doch zu unsexy und komplex ist das Thema für viele Amtsträger*innen, zu deprimierend ist es für viele im privaten Alltag. Und selbst die mietenpolitische Bewegung weiß nichts mit Menschen anzufangen, die kaum Handlungsfähigkeit haben. Dabei ist es der Mietenwahnsinn, der viele das Obdach verlieren oder nicht gewinnen lässt.

„Ich habe nie so viele Menschen auf der Straße sterben sehen wie in den letzten Jahren“, erklärte Karen Holzinger kürzlich der taz. Vor 25 Jahren hat sie den Kältebus der Berliner Stadtmission mit ins Leben gerufen, um Menschen vor dem Erfrieren zu bewahren, die das aus eigener Kraft nicht mehr schaffen.

Seit damals hat nicht nur die Zahl an Wohnungs- und Obdachlosen, sondern auch die individuelle Verelendung zugenommen. Dazu kommen vermehrte Angriffe auf Obdachlose, rassistische Übergriffe und Gewalt gegen Frauen* auf der Straße. In dieser Situation entzieht sich die landeseigene BVG erstmals seit 20 Jahren ihrer sozialen Verantwortung und stellt nachts keine U-Bahnhöfe mehr zum Kälteschutz zur Verfügung. In dieser Situation sind manche Bezirksämter – die eigentlich zuständigen Institutionen – mehr damit beschäftigt, Wohnungslose in den Nachbarbezirk zu verdrängen, als konstruktiv mit ihnen zu arbeiten.

Der Kältebus ist nur eine von vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die einspringen, wo eigentlich der Sozialstaat gefragt ist. Doch wird durch den ehrenamtlichen Einsatz der Skandal nicht entpolitisiert, werden die Verantwortlichen nicht fälschlich entlastet? Das Gespräch mit Engagierten zeigt, dass wer sich um konkrete Obdachlosenhilfe kümmert, auch bessere politische Instrumente sehen will – und besser weiß, wie diese aussehen. Gelegenheit zum Engagement bietet die Berliner Obdachlosenhilfe, die an verschiedenen Plätzen warmes Essen und Kleidung verteilt. Als Helfer*in muss man sich nicht anmelden (Mittwoch, Samstag 13.30, Sonntag 15.30 Uhr, jeweils Lynarstraße 38). Auch die selbst organisierte Notübernachtung im Mehringhof sucht nach Mitstreiter*innen (Gneisenaustraße 2a; Tel. 0162 57 28 092). Und der Kältebus ist nicht nur auf Ehrenamtliche angewiesen, die nachts mit auf Tour gehen, sondern auch auf Passant*innen, die unter 0178 523 58-38 anrufen, wenn ihnen ein Mensch zu Bewusstsein kommt, der auf ihrem Weg zu erfrieren droht.

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