Stefan Alberti hört dem SPD-Vorsitz-Aspiranten Raed Saleh bei der Industrie- und Handelskammer zu: Alles nicht so richtig stimmig
Wie macht er das bloß? Wie schafft es SPD-Fraktionschef Raed Saleh, sich immer mehr reinzureiten? Erst seine äußerst missliche Äußerung, uneingeschränkt zur Demokratie und zum Grundgesetz stünden „nur die Parteien der linken Mitte, nämlich SPD, Grüne und Linke“. Dann sein kritikwürdiger Besuch in der RBB-Show „Chez Krömer“. Und nun dieser Auftritt bei der Industrie- und Handelskammer (IHK).
Die lädt seit vielen Jahren alle paar Monate Politiker zum sogenannten wirtschaftspolitischen Frühstück ein – knappe Begrüßung, kurze Eingangsworte, dann Fragen und Diskussion. Eine gewisse Franziska Giffey war im vergangenen April bei dieser Unternehmerrunde zu Gast – und rockte einen voll besetzten Saal. Der Applaus lag laut IHK unter den Top 3 aller Zeiten.
Raed Saleh ist 10 Monate später eine interessante Ergänzung zu der Frau, mit der er ab Mai die SPD als Doppelspitze führen will: Wo Giffey rockte, schläfert er in einem 25-minütigen Eingangsbeitrag schier ein. Schon nach wenigen Minuten schließen sich bei einem Zuhörer in der zweiten Reihe kurz die Augen, anderswo geht der Blick aufs Handy.
Zu allgemein sind Salehs Aussagen zu seiner Forderung „Berlin muss lernen, groß zu denken“. Wo Giffey mehrfach Zwischenapplaus bekam, bleibt es bei Saleh weithin ruhig. Ende Januar haben die beiden samt Noch-Chef Michael Müller gemeinsam bekannt gegeben, dass Müller beim Mai-Parteitag der SPD nicht erneut kandidieren und dass sich nun das Duo Giffey-Saleh bewerben würde.
Beeindruckt konnte man da noch meinen, Saleh habe es mal wieder in eine neue Zeit geschafft, wie ein Talleyrand der Berliner Politik – jener Diplomat, der in der Französischen Revolution als auch unter Napoleon genauso Außenminister war wie nach dessen Sturz. Saleh kann sich irgendwie mit unterschiedlichsten Parteifreunden arrangieren, mit Klaus Wowereit, mit dem zwischenzeitlichen SPD-Chef Jan Stöß genauso wie mit Müller und nun Giffey.
Aber Diplomatie ist eben eine Kunst im Hintergrund und nicht auf einem Podium. Dort sagt Saleh mit Blick auf das jüngste SPD-Wahlergebnis: „Hamburg ist für uns Vorbild, Hamburg macht uns Mut.“ Ausgerechnet Hamburg, wo die SPD vom Mietendeckel ihrer Berliner Parteifreunde gar nichts hält! Das passt nicht zusammen, und inzwischen melden sich weitere SPDler, die ihn nicht an ihrer Spitze sehen wollen.
Und letztlich ist da noch so ein Satz: „Franziska ist die Nummer 1“, sagt Saleh über Giffey. Das ist die Reihung beim traditionellen Modell Chef(in) und Vize, nicht aber bei zwei Amtskollegen – und lässt so die Frage offen im Saal stehen: Wenn es bei der SPD eine klare Nummer 1 gibt, wieso braucht es dann eine Doppelspitze?
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