Stefan Alberti gruselt sich, dass ein Stück Berlin im Nachbau bei Moskau Kriegsspielplatz werden soll: Nochmal Sturm auf den Reichstag
Die B.Z. weiß es genau: „Russen bauen unseren Reichstag nach“. Was dem Boulevardblatt am Donnerstag gleich eine Titelseite wert war. Ja, und?, könnte man fragen. Sollen sie doch machen, die Russen, sind sie halt doch nicht so reich, die Oligarchen. Können sich den Norman Foster nicht leisten, der uns die Glaskuppel draufsetzte und ihnen da doch ein Original hinbauen könnte. Preisgünstig kopieren statt teuer selbst zu erfinden ist ja auch ein erprobtes Modell, das in Asien ganze Industrien groß gemacht hat.
Was das Ganze schon ein bisschen anders aussehen lässt, ist, dass sich da gar kein Milliardär in unser zentrales Bundestagsgebäude verguckt hat. Vielmehr soll der Nachbau offenbar Schauplatz eines gigantischen Reenactments sein. Reenactments, das sind diese Veranstaltungen, wie es sie vor allem in den USA schon lange gibt, wo dann Privatleute in historischen Uniformen Schlachten nachstellen, vor allem aus dem US-Bürgerkrieg.
Spektakel im „Park der Patrioten“
Das allein wäre vielleicht auch noch nicht so übermäßig bemerkenswert – warum sollen nicht auch die Russen ihre Siege feiern dürfen, vor allem über Nazi-Berlin mit der Reichstagsstürmung am 30. April 1945? Im „Park der Patrioten“ soll das sein, in der Nähe von Moskau.
Ein bisschen gruselig ist aber, dass sich da wohl nicht Veteranen vergangener Heldentaten erinnern können sollen. Es geht, folgt man der B.Z., vielmehr darum, dass eine staatlich organisierte Jugendarmee in diesem Freizeitpark in Hauptstadtnähe das Parlamentsgebäude stürmen können soll.
Puh. Nicht dass Kampfübungen in Gebäuden, ihren Attrappen oder besonderen Punkten neu wären: Als die US-Amerikaner bei ihrer Landung in der Normandie 1944 einen strategisch bedeutenden steilen Klippenabschnitt namens Pointe du Hoc stürmen wollten, trainierten Spezialeinheiten vorher auf der anderen Kanalseite lange an ähnlichen Felsen.
Und um das mal in greifbare Nähe zu rücken: In Lichterfelde-Süd gab es mit der Parks Range – wo übrigens künftig Tausende Wohnungen entstehen sollen – über Jahrzehnte einen Truppenübungsplatz mit einer Geisterstadt. Die hatte sogar einen eigenen Namen: „Doughboy City“.
Alles auch nicht so wirklich heimelig. Aber ein Reichstagsnachbau als Kinder-Kriegsspielplatz, das wäre noch mal eine ganz andere Nummer.
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