Statuswechsel: Aus Kriminellem wird Geflüchteter
Das Bundesamt für Migration muss einen in der Türkei verfolgten Unterstützer der Kurdischen Arbeiterpartei als politischen Flüchtling anerkennen
HANNOVER taz | Dies ist ein Urteil von wohl grundsätzlicher Bedeutung: Einem aus der Türkei geflohenen Kurden, der die Kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützte und deswegen in seiner Heimat verfolgt worden ist, muss vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Flüchtlingsstatus erhalten. Das hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg am Montag entschieden.
„Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in die Türkei im Zusammenhang mit dem gegen ihn laufenden Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in der PKK schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen“, begründeten die Lüneburger Richter ihr Urteil.
Der 30-jährige Kurde hatte an der türkischen Universität in der Stadt Elazig Wirtschaft studiert und war vor einem Strafgericht im türkischen Malatya wegen zahlreicher Aktivitäten für die PKK und anderer kurdischer Organisationen angeklagt worden, bevor er nach Deutschland fliehen konnte.
Das Bundesamt für Migration lehnte im Januar 2012 seinen Asylantrag als unbegründet ab. Ihm wurde ein Termin für die Ausreise gesetzt, sollte er nicht freiwillig gehen, drohte ihm die Abschiebung. Dagegen klagte er vorm Verwaltungsgericht Hannover. Das wies seine Klage mit der Begründung zurück, dass die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ wie der PKK in der Türkei eine „kriminelle Straftat“ sei. Eine strafrechtliche Verfolgung in der Türkei erfolge daher nicht aus politischen Gründen. Es sei zwar nicht auszuschließen, so die Richter damals, dass der in der Türkei gesuchte Mann nach seiner Rückkehr verhaftet und Folter ausgesetzt werde. Aber nicht wegen seiner „politischen Überzeugung und Volkszugehörigkeit“, sondern „wegen des eingeleiteten Strafverfahrens wegen terroristischer Aktivitäten für die PKK“.
Gegen diese Entscheidung legte der Anwalt des 30-Jährigen, Paulo Dias aus Hannover, Beschwerde ein. Und das Oberverwaltungsgericht entschied nun, dass das Bundesamt für Migration rechtswidrig handele, wenn es dem Kurden die Rechte eines Geflüchteten versage. Das verletze seine Rechte.
Entscheidend sei immer noch die Genfer Konvention von 1951, die auch im heutigen deutschen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz aus dem Oktober 2015 und dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren von 2016 ihren Niederschlag finde. Ein Ausländer sei demnach Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention, „wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit bestimmter sozialen Gruppen außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann“, so die Oberverwaltungsrichter. Daran änderten auch die neuen Asylbeschleunigungsgesetze nichts, die die Ausweisung von straffälligen Ausländern erleichtern oder die Flüchtlingsanerkennung straffälliger Asylbewerber ausschließen sollen.
Einer Ausweisung von Personen in die Türkei stehe immer dann etwas entgegen, wenn gegen diese Personen eine „verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung“ bestehe, wie in diesem Fall, oder wenn gegen diese Personen ein Strafverfahren im Herkunftsland mit politischen Hintergrund anhängig sei oder sie in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten seien, weil sie als potentielle Unterstützer der PKK angesehen werden.
Aus dem Urteil des OVG
„Noch immer kommt es zu Folter und Misshandlungen durch staatliche Kräfte, ohne dass es dem türkischen Staat gelungen ist, dies wirksam zu unterbinden“, so die Richter. Das Oberverwaltungsgericht sei zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger „mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Misshandlungen oder Folter durch Sicherheitskräfte des türkischen Staates erleiden würde“. Für Anwalt Dias ist das Urteil ein Indiz dafür, das „selbst das Oberverwaltungsgericht die Situation in der Türkei politisch zugespitzt hält“.
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