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■ Statt „normalisierter“ Außenpolitik:Sprachlosigkeit als Politikersatz

Mit Kohl die Klappe halten oder aus Protest von Cognac auf Whisky umsteigen, die Alternative ist eigentlich eine der guten alten Zeit. Doch Regierung und Opposition im Bundestag verharren in dieser Vergangenheit, drücken sich seit der Ankündigung neuer französischer Atomtests im Südpazifik vor einer klaren Stellungnahme, vor politischen Schritten.

Die Bonner Außenpolitiker, je mächtiger desto mehr, scheuen in diesem Fall die sonst immer häufiger beschworene Normalisierung der deutschen Außenpolitik in Europa. Die hätte angesichts der unsinnigen Tests nämlich zu einer normalen harten Kritik am lieben Nachbarn Frankreich führen müssen. Bundesaußenminister Klaus Kinkel erklärt die Tests in der südpazifischen Staaten- und Inselwelt statt dessen zur „nationalen Sache Frankreichs“, und den Beamten in seinem Ministerium fällt nach dieser Äußerung ihres Ministers auch nichts mehr ein.

Die vorläufig einzige wahrnehmbare Reaktion in Deutschland auf die Atomtests bleiben deshalb Bürgerinnen und Bürger, die einen Frankreich-Boykott diskutieren. Französischer Cognac ist nicht mehr erwünscht in 20 Hamburger Lokalen, taz-LeserInnen drohen auf den Leserbriefseiten ihren obligatorischen Frankreich- Trip ausfallen zu lassen. Wo die Politik die Klappe hält, wollen LeserInnen und Kneipiers wenigstens irgendein Zeichen setzen.

Doch woher kommt die Sprachlosigkeit, weshalb bleibt die vielbeschworene Normalisierung der deutschen Außenpolitik ihren Protagonisten angesichts der angekündigten französischen Atomtests im Halse stecken?

Ob nun Klaus Kinkel oder Freimut Duve, an erster Stelle fällt den Protagonisten deutscher Außenpolitik das historische Argument ein. Der Streit um die Atomtests dürfe die deutsch-französische Freundschaft nicht belasten. Französische Ressentiments gegen Deutschland dürften nicht gestärkt werden. Das Erreichte der Nachkriegsjahre sei wichtiger als die Kritik an einem noch so hanebüchenen Experiment.

Historische Dimensionen sind Kanzler Helmut Kohls Stärke, gegen diese spezielle Dimension kommt auch die politische Linke in Bonn nicht an – und schweigt. Historische Sonderrolle statt Normalisierung an dieser Stelle also.

Doch allein die Historie kann für das Schweigen nicht verantwortlich sein. Dieselbe Historie würde nämlich nahelegen, auch die britischen Regierungsmänner pfleglich und nicht als die Penner Europas zu behandeln. Den britischen Premier John Mayor vor der Weltöffentlichkeit für seine Umweltpolitik zu rüffeln, wie von Kanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel im Fall „Brent Spar“ praktiziert, verrät wenig Rücksichtnahme auf die „historische Dimension“.

Gewichtig für das Schweigen der Bonner Elite ist sicher der bisher ausgebliebene öffentliche Aufschrei gegen die geplanten Atomtests. Richtig beunruhigend sind die „ökologisch völlig ungefährlichen Tests“ (Chirac) offensichtlich nicht. Schließlich finden sie nicht in der Eifel statt. Warum die wichtige EU-Partnerschaft Paris-Bonn stören, wenn auch die deutsche Öffentlichkeit gar nicht nach harscher Kritik an der französischen Regierung verlangt? Zumal die französische Regierung sicherlich vor der Testentscheidung die Bundesregierung konsultiert hat. Und zumal die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern sich in den vergangenen Jahren erheblich intensiviert hat.

Für vorsichtiges Nichtstun sprechen also historische, legitimatorische und auch außenpolitische Gründe. Doch die Bilanz ist trotzdem negativ. Das Aussitzen des Konflikts widerspricht nicht nur der Normalisierungsrhetorik, es schadet auch dem außenpolitischen Ansehen und letztlich der politischen Kultur in Deutschland. Japan, Australien und Neuseeland haben demonstriert, wie eine normalisierte Außenpolitik aussieht, die Kritik an Partnern einschließt.

Jeder ungefährliche Atomtest sollte im Zentralmassiv stattfinden, war die Botschaft des australischen Außenministers. Botschafter wurden einbestellt, Rüstungsexportgeschäfte mit französischen Quasi-Staatskonzernen wurden gestoppt, französische Militärmaschinen auf dem Weg nach Polynesien dürfen nicht mehr aufgetankt werden, und der japanische Ministerpräsident nutzte seinen Besuch in Frankreich, um vor der Pariser Presse zu erklären, die Atomtests seien der falsche Weg. Auch die USA und Rußland erklärten wiederholt ihr Mißfallen. Innerhalb der EU bestanden Skandinavier und Benelux-Staaten auf ihrem Recht zur Kritik.

All diese Staaten haben sich zudem mit ihrer deutlichen Antwort auf Chiracs Pläne auch die eigene außenpolitische Glaubwürdigkeit im Süden erhalten. Vier Wochen nach der permanenten Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages können sich die Länder des Südens nämlich von den Ankündigungen des neuen französischen Präsidenten nur betrogen vorkommen. Wie hatten die Nato-Staaten doch geworben und von der weltweiten atomaren Abrüstung geschwärmt. Und Deutschland, Aspirant für einen permanenten Sitz bei den Vereinten Nationen, findet für diesen Betrug jetzt kein Worte.

Der Bundesregierung und auch der Opposition muß klar sein: Je näher die Tests kommen, desto weniger wird sich der Konflikt mit Worten und dem Verweis auf die Vergangenheit aussitzen lassen. Wer trotz historischer Vorbehalte im ehemaligen Jugoslawien deutsche Soldaten einsetzen kann, muß deutlich mehr Phantasie zeigen, um den französischen Präsidenten mit einer Mischung aus sanftem Druck und guten Argumenten zur Umkehr zu bewegen.

Wer auch als zweitgrößter Waffenexporteur der Welt noch Abrüstung über Rüstungsprofite stellt, muß die deutsch-französische militärtechnische Zusammenarbeit in dieser Situation auch überprüfen können! Muß man die Gelder für den gemeinsam geplanten Kampfhubschrauber Tiger gerade jetzt bewilligen? Braucht es tatsächlich eine neue deutsch-französische Reaktorgeneration, deren Spaltprodukte im französischen atomar-industriellen Komplex landen?

Fragen, die die politische und gesellschaftliche Opposition bislang nicht einmal zu stellen wagt. Ihr Schweigen wirft ein Schlaglicht auf die Konzeptionslosigkeit, mit der deutsche Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch diskutiert wird. Ist der Eindruck so falsch, daß Regierung und Opposition nicht mehr gestalten, sondern nur noch auf ein unübersehbares Votum der Bevölkerung gegen die von der französischen Regierung geplanten Atomtests warten? Die Kneipenwirte und LeserbriefschreiberInnen denken und handeln internationaler als die außenpolitischen Eliten. Die boykottierenden Kneipenwirte haben den deutschen Sonderweg verlassen. Hermann-Josef Tenhagen

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