Start der Fußball-Bundesliga: Die vier Hoffnungsträger
Kann ein Talent aus Rostock wirklich überragen? Taugt ein Grieche zum Retter? Wie etabliert ein Trainer einen Kiezklub? Und was bringt ein schlecht gelaunter Starkicker?
Toni Kroos spricht von "reinem Zufall", doch die Gleichzeitigkeit der Ereignisse bleibt bemerkenswert. Am 28. August wechselte Arjen Robben von Real Madrid zu Bayern München und erhielt das Trikot mit der Nummer 10, das Uli Hoeneß zwei Jahre lang keinem Spieler geben wollte. "Das ist reserviert für Toni Kroos", hatte der frühere Münchner Manager beschlossen, doch Kroos stagnierte auf der Ersatzbank, das Trikot verstaubte.
Vor einem Jahr ließ er sich entnervt nach Leverkusen ausleihen. Zwei Tage nach Robbens Auftauchen erhielt die Liga eine erste Kostprobe jenes Toni Kroos, von dem Hoeneß träumte. Beim 2:1 gegen den Bochum wurde der gebürtige Rostocker eingewechselt, bereitete den Siegtreffer zum 2:1 vor und half, den Vorsprung über die Zeit zu retten. Die Bürde der wartenden Bayern-10 ist weg - Kroos wurde zum spektakulärsten Spieler des zweiten Saisonviertels.
Seit seinem glanzvollen Auftritt bei der U17-WM 2007 weiß die Welt, dass der 20-Jährige einer dieser seltenen Typen ist, deren Ideenreichtum Fußballspiele mit großen künstlerischen Momenten veredeln kann. Allerdings fehlte ihm lange die Fähigkeit zum soliden Handwerk. Doch Kroos hat sich verwandelt.
Zuvor galt das Talent als fahrlässig in der Trainingsarbeit, als "Defensivschlampe" (Kölner Stadtanzeiger), deshalb hatte Horst Hrubesch bei der erfolgreichen U21-EM im vergangenen Sommer keine Verwendung für Kroos. Seit Heynckes in Leverkusen ist, ackert und grätscht der Offensivspieler auch am eigenen Strafraum. Sechs Tore und drei Torvorlagen sind ihm gelungen, dafür schätzt man ihn, bewundert wird er aber als Kreativspieler, der die große deutsche Sehnsucht nach spielerischer Weltklasse stillen kann. Kroos selbst hat seine Lektion gelernt, er genießt zwar den Moment, sagt aber auch, dass "es nicht immer so gut laufen wird wie zuletzt". Die Erwartungen sind gestiegen, mit dem genesenen Renato Augusto muss Kroos sich gegen einen hochkarätigen Konkurrenten behaupten, und es stehen Verhandlungen zwischen Bayer und dem FC Bayern an. Die Münchner wollen ihren Spieler im Sommer zurückhaben, doch der würde eigentlich lieber in Leverkusen bleiben. Dem Aufblühen in der Hinrunde folgt jetzt die Reifeprüfung. DANIEL THEWELEIT
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Theofanis Gekas kennt den Spruch: Hinten dicht und vorne hilft der liebe Gott. Mit dieser Phrase wird an Fußballstammtischen der Kick minderbemittelter Mannschaften beschrieben. Bei Hertha hat in der Hinrunde aber nicht einmal das geklappt. Am Ende hatte man nur sechs Punkte auf der Habenseite. Zu Beginn der Rückrunde lautet nun das Konzept: Hinten dicht und vorne hilft Gekas.
Der Erwartungsdruck, der auf der Leihgabe von Bayer Leverkusen lastet, könnte kaum größer sein. Als Hertha-Manager Michael Preetz die Stürmerstelle im Dezember öffentlich ausschrieb, verwies er auf die Perspektiven dieser Aufgabe: "Unser neuer Stürmer kann in Berlin unsterblich werden. Wenn er uns vor dem Abstieg rettet, wäre er auf ewig ein Held." Preetz versuchte die Lage des Vereins zum Standortvorteil umzudeuten. Ein alter Trick der Hauptstädter, der einst zur Formel führte: "Berlin ist arm, aber sexy."
Mit wenig Geld hat man Gekas, den Torschützenkönig der Saison 2006/07 (zwanzig Tore für den VfL Bochum), ködern können. Gekas gab dem Tabellenletzten sogar den Vorzug vor Eintracht Frankfurt. Der 29-jährige Grieche gilt als listiger Spekulant im Strafraum, der nur fleißig mit Flanken gefüttert werden muss. Preetz ist begeistert von seiner Fähigkeit, "Tore aus dem Nichts" zu machen. Trainer Friedhelm Funkel will ihm eine Sonderstellung im Team einräumen. Von ungeliebten Defensivaufgaben soll Gekas weitgehend befreit werden: "Theofanis muss nicht viele Ballkontakte haben." Das Spiel wird auf ihn ausgerichtet wie zu seiner erfolgreichsten Zeit beim VfL Bochum.
Dabei hat Gekas seit seinem Weggang aus Bochum nie mehr zu alter Form gefunden. Hertha setzt sein Vertrauen in einen Stürmer, der in dieser Saison bei sechs Einsätzen nicht einmal traf. Auch nach den beiden Testspielen im Januar konnte Funkel Gekas nur für seine Fasttore loben. In der WM-Qualifikation allerdings traf der Grieche zehnmal.
Jetzt will Gekas wieder in der Liga Fuß fassen. Hertha und Theofanis Gekas - da haben sich zwei Notleidende gefunden, die jeweils ihre Hoffnungen in den anderen setzen. Das ist kein risikoloses Unterfangen. Aber Hertha hat eh nichts mehr zu verlieren. JOHANNES KOPP
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Holger Stanislawski ist kein reifer Jahrgang wie die aktuellen Supertrainer der Ersten Liga. Ihm fehlen auch die Erfolge als Spieler, die ein Felix Magath oder Jupp Heynckes vorweisen können. So ungefähr das Bedeutendste, was Stanislawski als Fußballer erreichte, war, vor acht Jahren in jener Elf des FC St. Pauli zu stehen, die am Millerntor den FC Bayern München besiegte, um sich fortan Weltpokalsiegerbesieger zu nennen. Damals war Stanislawski 32, seine elf Jahre währende Karriere als Berufsfußballer neigte sich dem Ende entgegen, nicht aber seine Karriere im Verein. Ob diverser Notstände im Klub wurde er Manager und Vizepräsident; gut, da konnte er 2006 auch gleich noch den Trainer geben.
Alsbald, St. Pauli war drittklassig, entstand ein filmisches Vereinsporträt, das bekam den Titel "Rausgehen, warmmachen, weghauen". Mit diesem dreifachen Imperativ feuerte Stanislawski seine Spieler an. Von derart schnörkellos rustikalem Spruch darauf zu schließen, dass die Fußballer den traditionell schnörkellos rustikalen Spielstil des Clubs unter Stanislawski zur Perfektion getrieben hätten, wäre falsch. Sein verbales Understatement paart sich mit der Idee von anspruchsvollem Fußball. Gekickt hat Stanislawski in der Abwehr, als Trainer liebt er die intelligente Offensive. Anders als Markus Babbel gelang es ihm in der vergangenen Saison vortrefflich, zugleich die Fußballlehrerausbildung zu absolvieren und seinen Profikader zu betreuen. In Köln wurde er Jahrgangsbester, in Hamburg trieb er den Zweitligisten zu ungeahnten Vorstellungen. St. Pauli spielt jetzt schön und gewinnt. Nicht immer, aber oft - bevorzugt mit einem 4-2-3-1-System.
Keine Mannschaft der beiden höchsten Spielklassen hat in der Hinrunde so viele Tore gemacht. Wäre das Team heimstärker, wäre Tabellenrang zwei komfortabel gepolstert. St. Pauli hat 25 seiner 41 Tore auswärts erzielt. Vielleicht, weil das Millerntor gerade umgebaut wird. Im hundertsten Jahr des Vereinsbestehens toben die Jungs unter der Piratenflagge sich da lieber anderswo aus. Ja, es ändert sich manches beim FC St. Pauli, non established since 1910. Dass der Verein jetzt einen Trainer hat, den etablierteste Vereine fest im Blick haben, gehört dazu. KATRIN WEBER-KLÜVER
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Franck Ribéry, ein Hoffnungsträger? Aber sicher doch - für die berühmte Festgeldabteilung (im Folgenden F. genannt) des FC Bayern, jenen sagenumwobenen Topos, vom dem Exmanager Uli Hoeneß ja so oft erzählt und mit dem er immer auch ein bisschen gedroht hat. Wir und unsere F.! Uns kann keiner was! Bis vor ein paar Jahren ist Hoeneß nur ungern, also höchst selten in der F. vorstellig geworden. Irgendwann fand er dann doch den Weg in die F., trug Scheine in einem großen Beutel hinaus, um endlich mal ein paar richtige Stars einzukaufen: einen italienischen Weltmeister und einen französischen Fastweltmeister, der bis dahin als einzigen Titel "türkischer Pokalsieger" in seiner Vita stehen hatte.
Erst zweimal wurde für den nun 26-jährigen Ribéry eine Ablösesumme gezahlt: Galatasaray Istanbul überwies 2,5 Millionen Euro an den FC Metz; beim FC Bayern stand das Komma einen Tick weiter rechts: 25 Millionen flossen an Olympique Marseille. Und wenn der Franzose am Ende dieser Saison endlich nach Madrid zieht, werden die Bayern in der F. ein bisschen Platz freiräumen müssen für all die frischen Scheine. 40, 50, 60 Millionen?
Der FC Bayern ist der siebte Klub Ribérys in sieben Jahren. Er ist nie wirklich in München angekommen, spricht kein Wort Deutsch und ist von seinem frühmünchnerischen Image als Gaudibursche inzwischen so weit entfernt wie Christian Lell von einem Stammplatz. Zwar hält er sich noch sämtliche Optionen offen, doch die jüngsten Äußerungen seines Managers Alain Migliaccio sind bezeichnend: "Franck hat mir gesagt, dass er nicht bleiben will, weil seine Frau sich nur schwer an Deutschland gewöhnen kann."
Die einzige Hoffnung, die noch in Ribéry steckt, ist die auf ein gutes Geschäft. Bleibt er bis 2011 und erfüllt seinen Vertrag, darf er danach ablösefrei gehen, Bayern sieht keinen Cent. Geht er früher, wird es voll in der F.
Dass der Franzose noch mal an seine Zaubersaison 2007/2008 anknüpft: Diese Hoffnung haben die Fans so gut wie verloren. Ribery hat in dieser Saison bislang eins von sechs Bundesligaspielen durchgespielt. Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber stellt man sich auch irgendwie anders vor. THOMAS BECKER
Mehr zum Thema: Bildergalerie zum Start der Rückrunde.
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